© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Historischer Dekor
Politische Zeichenlehre CVI: Krone
Karlheinz Weissmann

Die sozialistische Premierministerin von Australien, Julia Gillard, konnte am vergangenen Sonntag keine Mehrheit erringen. Deshalb ist auch ihr Ziel in die Ferne gerückt, das Land in eine Republik zu verwandeln, es vollständig von Großbritannien zu lösen und ihm die Krone zu nehmen. Ein Äquivalent für das englische Verb „decrown“ (entkrönen) gibt es im Deutschen nicht, aber es bringt wie „dethrone“ (entthronen) sinnfällig zum Ausdruck, was geschieht, wenn ein Monarch seine Macht verliert.

Seit dem Mittelalter war die Krone das wichtigste Herrschaftssymbol in Europa. Trotzdem sind ihre Ursprünge ungeklärt. Im allgemeinen nimmt man an, daß es sich um eine Fortentwicklung des antiken Diadems handelt, in der älteren Forschung fand sich gelegentlich die These, daß sie aus dem frühmittelalterlichen Spangenhelm hervorgegangen sein könnte. Nimmt man nur die Optik, dann erscheint ein persischer Ursprung naheliegend, denn die Könige des alten Iran trugen bei zeremoniellen Anlässen goldene Reifen mit Zackenrand, die häufig nach oben geschlossen waren und so eine „Tiara“ bildeten. Vielleicht bestand von hier auch eine Verbindung zu den „Hörnerkronen“ Mesopotamiens, die auf den Stierkult zurückweisen könnten.

In jedem Fall standen die Kronen des Abendlands für die Idee des König- oder Kaisertums und davon abgeleiteter Macht. Ursprünglich konnte mit der Insignie die Vorstellung der Legitimität so eng verknüpft sein, daß Besitz oder Nichtbesitz über die dauernde Ausübung der Herrschaft entschied. Erst mit dem Beginn der Neuzeit war ein Bedeutungsverlust zu verzeichnen. Die Wendung „der Krone dienen“ bedeutete jetzt jedenfalls nicht Verpflichtung gegenüber einem Machtzeichen, nicht einmal gegenüber dessen Träger, sondern gegenüber dem Abstractum Staat.

Parallel dazu verloren Krönungen im Zeitalter der Aufklärung an Bedeutung und erlebten im 19. Jahrhundert nur eine kurze Renaissance, man denke an die Selbstkrönung Napoleons oder den ungeheuren Aufwand bei der Krönung Victorias zur Kaiserin von Indien. Bezeichnender war, daß für das 1871 gegründete Deutsche Reich keine Krone mehr angefertigt wurde und keine Krönungen der Kaiser stattfanden. Die Krone existierte praktisch nur papieren, als Emblem für Wappen oder vergleichbare Zeichen.

In vielen Monarchien, die die Weltkriege und Revolutionen des 20. Jahrhunderts überstanden, verzichtet man heute ebenfalls auf die Krönung und wird die Krone durch den Regenten nur bei sehr wenigen Anlässen getragen. Eine Ausnahme bildet nach wie vor Großbritannien, wenngleich die Krone weitgehend zum historischen Dekor reduziert scheint. Hier und dort wird sie von kleinen royalistischen Bewegungen (Italiens oder Portugals) als Ausdruck des Restaurationswillens verwendet, aber sonst ist sie in den Republiken ganz verschwunden oder Museumsstück.

Es gibt allerdings gewichtige Ausnahmen von dieser Regel in ehemaligen Ostblockstaaten. So wurde in Polen nach der Rückbenennung von „Volksrepublik“ in „Republik“ das alte Wappen der Piasten wieder eingeführt, ein weißer, golden gekrönter und golden bewehrter Adler auf rotem Grund. In der Zeit des kommunistischen Regimes hatte man die Krone entfernt, mit einem Beschluß des Sejm und einem Gesetz vom 31. Januar 1990 erhielt der Adler den traditionellen Kopfschmuck zurück.

Das bekanntere Beispiel dürfte Ungarn sein, dessen „Heilige“ oder „Stephanskrone“ (JF 4/08) nach dem Verständnis vieler Ungarn sinnfälliger Ausdruck staatlicher Kontinuität der eigenen Nation ist und insofern wichtiger als das Wappen, über dem sie angebracht wurde. Direkt nach Beseitigung der KP-Herrschaft nahm Ungarn am 3. Juli 1990 ein Staatswappen in traditioneller Gestalt an, darüber die Stefanskrone. Obwohl die Nationalflagge eigentlich nur aus einer längs rot-weiß-grün gestreiften Trikolore besteht, ist die mit dem Wappen belegte Dienstflagge wesentlich populärer.

Solcher Kronenbegeisterung steht der Kronenverdruß konsequenter Republikaner wie Julia Gillard gegenüber. Ihr ohnmächtiger Wunsch, die Krone loszuwerden, erinnert an ähnliche Vorstöße der schwedischen Monarchiefeinde, die vor der Hochzeit der Kronprinzessin in diesem Sommer mit einem Emblem für sich warben, das eine gestürzte und durchgestrichene Krone zeigte, allerdings kaum Zustimmung fanden, zumal das schwedische Wappen seit dem 14. Jahrhundert drei goldene Kronen in blauem Feld zeigt.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen