© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Aura des Wohlstands
Auf Hochglanz poliert: Eine Görlitzer Ausstellung erinnert an Silber aus Schlesien
Paul Leonhard

Eine Schale mit eingelassenen Münzen, sakrale Gegenstände, Kaffee- und Teeservice, Leuchter, Pokale, Teller, Tabletts, Ringe, Ehrenpreise und Besteckteile in allen Formen und Varianten – die Vitrinen glänzen und spiegeln. „Das ist alles Silber“, strahlt Markus Bauer. Der Direktor des Schlesischen Museums zu Görlitz ist hochzufrieden mit seiner Ausstellung „Silber aus Schlesien. 1871–1945“. Angesichts von Besteckgarnituren mit mehr als 80 Teilen schwärmt Bauer von der „Aura des Wohlstandes“ und „gediegener Bürgerlichkeit“ und erinnert an den zeitlichen und kulturellen Abstand zu einem Lebensstil, bei dem Silberbesteckgarnituren für mindestens zwölf Personen ein gesellschaftliches Muß auch für den Mittelstand waren.

Das Schlesische Museum widmet sich mit seiner Sonderschau einem bisher kaum beachteten Gebiet der europäischen Gold- und Silberschmiedekunst. Zwar sind viele der ausgestellten Sammlerstücke schon im Haus Schlesien in Heisterbacherrott oder in Braunschweig zu sehen gewesen, noch nie aber in der letzten bei Deutschland verbliebenen schlesischen Stadt: in Görlitz. Hier aber lebt die Tradition, die sonst nur musealen Charakter hat. Das Geschäft von Theodor Finster beispielsweise wurde nie verstaatlicht und ist noch immer in der Steinstraße zu finden.

Schlesien war einst ein Zentrum der Herstellung von Schmuck- und Gebrauchsgegenständen aus Silber. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 bewirkte einen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem auch die Hersteller von Gold- und Silberwaren in Schlesien profitierten. Schnell entstanden in den Städten zahlreiche Werkstätten, Fabriken und eine Vielzahl von Geschäften. Bereits bestehende Unternehmen nahmen einen ungeahnten Aufschwung.

Eines davon war die 1818 in Breslau gegründete Silberwarenfabrik Julius Lemor. Ihre Produkte, gekennzeichnet mit den Initialen JAL, erwarben sich deutschlandweit einen Ruf aufgrund ihrer hohen Qualität. Dabei können sich die anderen Ausstellungsstücke ebenfalls sehen lassen: eine in den 1920er Jahren im Stil des Art déco von Johann Bruschke Nachfahren Breslau gefertigte silberne Teekanne beispielsweise oder eine Silberkanne mit geprägten Spiralgriffen, hergestellt um 1890 von Gebrüder Sommé Nachfahren ebenfalls in Breslau. Von Lemor stammt ein Siegelstempel von 1890 mit Davidstern und hebräischer Inschrift sowie eine Briefablage mit durchbrochenem Gitter aus dem Jahr 1894.

Viele dieser Schätze hat Rainer Lemor zusammengetragen. Als einen „besonders hartnäckigen und erfolgreichen Sammler, großen Liebhaber und Kenner der Materie“ beschreibt Bauer den ehemaligen Banker, dessen Vater der letzte Inhaber der Silberwarenfabrik Julius Lemor war. Dabei hat sich Lemor, Jahrgang 1937, erst spät für die Familiengeschichte interessiert. 1980 begann er seine Forschungen. Sein Verdienst ist es vor allem, den Schleier des Vergessens von unzähligen schlesischen Gold- und Silberwarenherstellern zu reißen.

Dafür durchforstete er die Ausgaben der Tageszeitung Görlitzer Nachrichten zwischen 1888 und 1918, kämpfte sich durch die zum Glück erhaltenen Adreßbücher der Vorkriegszeit von Breslau und Görlitz. Rainer Sachs vom deutschen Generalkonsulat in Breslau wertete parallel dazu in seiner Freizeit die Kirchenbücher aus. „Kataloge gibt es ja kaum noch“, bedauert Lemor. Und das Archiv des Verlages, der die Fachzeitschriften herausgab, brannte im Zweiten Weltkrieg in Leipzig aus.

Einige Überraschungen erlebte Lemor bei seinen Forschungsarbeiten: In der Deutschen Bücherei in Leipzig hielt er plötzlich den eigenen Familienstammbaum von 1937 in den Händen. Für die Nachkommen anderer aus Schlesien stammender Familien war Lemors Anfrage die Initialzündung, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Rainer Lemor besuchte auch die Überreste der väterlichen Fabrik in der Fischergasse 11-13 in Breslau. Die Fabrik befand sich zwar ein Stockwerk tiefer, aber sie stand noch. Nach dem Krieg seien hier Kinderwagen produziert worden, später Rollschuhe, erzählt ihm ein Mann. „Vor zehn Jahren liefen die Pressen noch.“

Mit der Flucht und der Vertreibung der Deutschen aus Schlesien sei viel Wissen über die Silberherstellung verlorengegangen, bedauert Lemor. Dank zahlreicher Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen in Deutschland und Polen bietet die Schau des Schlesischen Museums nun erstmals einen ausgewählten Überblick über das breite Schaffen auf dem Gebiet der Gold- und Silberwaren in Schlesien. So zählen zu den Breslauer Silberwarenfabriken neben Lemor auch Johann Bruschke (1871), Julius Eispert (1891) oder Joseph Berger (vor 1900), zu den Görlitzer Robert Altermann (1885), Sachse & Kohl (1872) und Fritz Gerber & Co. (1879). 1910 erhielt die Firma J. Schlossarek Breslau von Papst Pius IV den Titel eines päpstlichen Hofjuweliers verliehen. Und die Firma Hoeptner durfte sich als „Päpstlicher Hoflieferant“ bezeichnen.

Fast wichtiger als die Ausstellung ist für alle Schlesier und Silberwarensammler der reich bebilderte Katalog. Denn er enthält ein einmaliges Markenverzeichnis mit den Porträts der wichtigsten schlesischen Firmen, aber auch die Namen bisher in Vergessenheit geratener Unternehmen. „Mehr wäre nicht machbar gewesen“, sagt Museumsdirektor Bauer und wünscht sich, daß alle Besucher anschließend zu Hause ihr Besteck umdrehen: „Vielleicht stammt es ja auch aus Schlesien.“

Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Oktober im Schlesischen Museum, Brüderstraße 8, in Görlitz täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr  zu sehen. Telefon: 0 35 81 / 87 91-0, Internet: www.schlesisches-museum.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen