© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Frisch gepresst

Oscar Levy. Der deutsch-jüdische Mediziner Oscar Levy (1867–1946) wanderte lange vor 1914 nach England aus und schaffte es, dem der deutschen Lebensphilosophie und ihrem „Irrationalismus“ herzlich abgeneigten britischen Bildungsbürger eine 18bändige Nietzsche-Ausgabe anzudienen. Als Übersetzer, Interpret, schlicht als Wegbereiter Nietzsches in England, war der Essayist und Kulturphilosoph Levy nach 1945 indes nur noch einem intimen Kreis von Kennern der neueren Philosophiegeschichte ein Begriff. Erst die von Steffen Dietzsch und Julia Rosenthal initiierte und edierte, auf sechs Bände angelegte Levy-Ausgabe, von der bisher zwei vorliegen (JF 14/06), hat den „frühen Multiplikator der Ideen Nietzsches in Großbritannien“ (Peter Hoeres) hierzulande wieder der Vergessenheit entrissen, obwohl zahlreiche seiner heftigen antijüdischen Ausfälle dem Zeitgeist wenig behagen dürften. Zu den problematischen Partien von Leila Kais’ Monographie über „Oscar Levy und die Einführung Nietzsches in England“ („Le Nietzschéanisme, c’est moi.“ Parerga Verlag, Berlin 2010, gebunden, 396 Seiten, 38 Euro) gehört denn auch, daß Levys Stellung zur jüdischen Frage kaum eine Rolle spielt, auch wenn sie das Thema im übergeordneten „Rassen“-Diskurs streift, um ihren Helden gegen den Vorwurf des „Rassismus“ zu verteidigen. Im Mittelpunkt ihrer Berliner Dissertation steht für Kais aber Levys titanische Leistung als Nietzsche-Vermittler. Und mit der präzisen Erforschung dieses Mittlertums hat sie wirklich einen wichtigen Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte „unserer Vettern“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs erbracht.        

 

Gottlos. Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Getreu dieses Jesus-Wortes tritt Andreas Püttmann in seinem Buch „Gesellschaft ohne Gott. Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands“ (Gerth Medien, Asslar 2010, gebunden, 288 Seiten, 17,95 Euro) ans Krankenbett des europäischen Christentums. Der katholische Publizist diagnostiziert Kirchenschwindsucht und Glaubensdepression. Im Stammland der Reformation verzeichnet Püttmann, langjähriger Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung, geistliche Auszehrung. Aus demographischer Sicht seien die Christen in der Gerontologie und die Muslime auf der Geburtsstation. Diese konstitutionelle Schwäche äußere sich in einer multiplen Symptomatik: Die Pfarrerstochter Angela Merkel hofiert den humanistischen Hirnforscher Wolf Singer und kritisiert den Papst. Dessen katholische „Divisionen“ versagen Merkel bei der Wahl 2009 die Treue. Christophobie und Bekenntnisscheu sind, das ergibt Püttmanns Anamnese, längst ins Herz der Kirche vorgedrungen. Als Therapie verschreibt der Doktor der Kirche die eigenen Pillen: Tapferkeit, Gebet, Fröhlichkeit und Führungswille.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen