© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

„Ich finde Sarrazin mutig“
Der Rock-Musiker war Kommunist, dann entdeckte er sein Judentum – heute verteidigt er Thilo Sarrazin
Moritz Shwarz

Herr Herzberg, der „Berliner Kurier“ schlagzeilte Anfang letzter Woche: „Pankow-Frontmann unterstützt Sarrazin!“ Warum tun Sie das?

Herzberg: Ich folge da einfach meinem Instinkt.

Seit sich Ende letzter Woche der Wind gedreht hat, werden der prominenten Sarrazin-Unterstützer täglich mehr. Sie sind allerdings einer der wenigen, der von Anfang an gewagt hat, ihn öffentlich zu verteidigen.

Herzberg: Wissen Sie, ich bin 1955 in Ost-Berlin geboren und meine wohl prägendste Erfahrung war, lernen zu müssen, wie Diktaturen das Denken verbieten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich komme aus der DDR, für mich ist also die Freiheit hier und heute ein großes Geschenk! Aber ich habe erlebt, wie leicht es passieren kann, einfach mitzulaufen. Und da möchte ich nicht mehr mitmachen.

1981 wurden Sie bekannt als Gründer der Rockformation „Pankow“, die im Gegensatz zu „staatstragenden“ Bands wie „Karat“ oder den „Puhdys“ in der DDR als subversiv galt.

Herzberg: Wir haben damals gedacht, Kunst sei eine Waffe und damit ließe sich etwas verändern. Aber wenn ich zurückblicke, muß ich sagen, die ganze Härte der Unterdrückung in der DDR hat unsere Arbeit nicht widergespiegelt. Bestimmtes haben wir einfach weggelassen.

Warum?

Herzberg: Weil wir keinen Sinn dafür hatten. Das ist es eben, was Diktatur mit dir macht: Du siehst es gar nicht mehr! Das hat später auch meine Einstellung zu den Deutschen im Dritten Reich geändert. Meine Großmutter ist von den Nazis ermordet worden, meine Eltern mußten als Juden aus Deutschland fliehen. Das und meine strenge kommunistisch-antifaschistische Erziehung haben mich lange glauben lassen, alles im Dritten Reich sei das Böse schlechthin gewesen. Erst später habe ich durch eigene Erfahrungen begriffen, warum so viele Deutsche nichts gegen die Judenverfolgung getan haben: Viele konnten es im Grunde gar nicht sehen, weil die Diktatur sie blind gemacht hatte. Wenn man in einem Tabu darinsteckt, vielleicht sogar darin aufwächst, dann ist es ganz schwer, aus eigener Kraft da herauszukommen. Man erkennt den blinden Fleck nicht, denn das Denken ist eingeschränkt. Die Masse bestimmt, und wer zu den wenigen anderen gehört, hat Pech. Na ja, der Unterschied ist immerhin, Herr Sarrazin geht weder ins Lager noch nach Bautzen. 

In der „Leipziger Volkszeitung“ kritisierten Sie in Sachen Sarrazin die deutschen Tabus, und die Nachrichtenagentur ddp zitierte Sie mit dem Einwand: „Die von ihm angesprochenen Probleme gibt es!“

Herzberg: Natürlich. Fakt ist, daß es sowohl speziell mit der islamischen Einwanderung, wie auch mit der islamischen Welt ein besonderes Problem gibt. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Deshalb hat der Mann ja auch diese enormen Zustimmungsquoten bei den Umfragen, nicht etwa weil sich die Leute für Detailfragen der Genetik interessieren. Aber das – worum es eigentlich geht – wird in der Debatte ignoriert, wird einfach weggebügelt! Statt dessen wird ernsthaft diskutiert, ob Sarrazin ein Rassist und Antisemit sei.

Sie sind Jude, hat Sie seine Äußerung über ein jüdisches Gen nicht erschreckt?

Herzberg: Nein, warum?

Weil Politiker und Medien sich enorm erschreckt zeigten – im Namen der Juden. 

Herzberg: Also hören Sie, ich bin in diesen genetischen Fragen kein Fachmann, aber genau das regt mich auf! Die Juden sind hier irgendwie eine Chimäre, in deren Namen jeder meint, den anderen belehren zu können. Wer sind eigentlich die Juden? Die meisten hierzulande sind Einwanderer aus Osteuropa. Es gibt kaum noch echte deutsche Juden, wie unsere Familie. Aber in deren Namen wird dann das große Wort geführt.

Auch Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, regt sich auf.

Herzberg: Also verzeihen Sie mir jetzt die saloppe Antwort, aber der regt sich zu Recht auf. Schließlich ist er Konvertit, wenn sich da jetzt herausstellt, daß es ein jüdisches Gen tatsächlich gibt ... Dann war’s das für ihn.

Kramer, der sich in der Vergangenheit schon bei Sarrazin für einen Hitlervergleich entschuldigen mußte, attestiert ihm jetzt „Rassenwahn“.

Herzberg: Wahnsinn, dieser Kleingärtnerverein! Das ist doch alles grauenhaft! Aber ich will Ihnen jetzt mal was sagen: Wer verteidigt denn Herrn Sarrazin? Henryk M. Broder, ein jüdischstämmiger Deutscher, Ralph Giordano, ein jüdischstämmiger Deutscher, das gleiche gilt für mich und schließlich Necla Kelek, eine türkischstämmige Deutsche. Jetzt frage ich Sie mal: Was ist da eigentlich los?

Sie haben bekannt, von Thilo Sarrazin beeindruckt zu sein. Warum?

Herzberg: Weil ich finde, daß es ganz schön mutig ist, was er sich traut. Erstens hat er dieses Sprechproblem und trotzdem geht er in die Öffentlichkeit. Und dann steht er da allein gegen alle und wird beinahe in der Luft zerrissen. Also mich beeindruckt das.

Für seine Kritiker zeigt das nur, wie grenzenlos seine Eitelkeit, Profilsucht und seine Gier nach Auflage sein muß.

Herzberg: Ich habe keine Ahnung, ob der Mann eitel oder geldgierig ist, aber das kann man ja jedem unterstellen. Und welcher Politiker oder Medienmann ist denn frei von Eitelkeit? Darum geht es schlicht nicht. Was soll das? Es geht um die Probleme, auf die Sarrazin hinweist.

Glauben Sie, daß Sarrazin wirklich von dem bewegt ist, was er thematisiert?

Herzberg: Ich weiß es nicht, aber ich kann mir das gut vorstellen. Er ist ja ein eher distanzierter Mensch, wirkt unterkühlt. Aber ich muß sagen, ich mag das.

Warum?

Herzberg: Weil ich ganz anders bin, und deshalb finde ich solche Menschen interessant. Zum einen möchte ich dann wissen, was steckt hinter dieser steifen Hülle? Und zum anderen beeindruckt mich einfach die Sachlichkeit solcher Leute. Haben Sie die „Beckmann“-Sendung am vorletzten Montag in der ARD gesehen? Alle haben dort auf ihn eingedroschen, sogar der Moderator, der ja eigentlich unparteiisch sein sollte. Ich glaube, ich wäre stinkwütend geworden, wäre in die Luft gegangen, denn das ist doch unfair! Aber Sarrazin blieb ganz ruhig und hat versucht, sachlich zu widerlegen, was ihm vorgeworfen wurde, obwohl man ihm immer wieder das Wort abschnitt. Ich finde, er hat sich damit als einziger in der Sendung souverän gezeigt und blendend pariert, toll!

Der Schriftsteller Richard Wagner hat die Sendung einen „Schauprozeß“ genannt.

Herzberg: Das trifft es, alles war wie inszeniert. Statt auf die Argumente einzugehen, hat man versucht, Sarrazin niederzumachen. Aber ich glaube, dahinter steckte etwas anderes.

Nämlich?

Herzberg: In Deutschland gibt es so eine Art stillschweigende Verabredung, wie man sich zu benehmen und was man zu bestimmten Themen gefälligst zu sagen hat und was nicht. Und daran hat Sarrazin gerührt. Das verzeihen sie ihm nicht.

Warum nicht?

Harzberg: Wahrscheinlich hängt das mit unserer Identität als Deutsche zusammen. Wir haben diese zwei Weltkriege und Diktaturen in unserer Geschichte und jetzt wollen wir künftig bloß alles richtig machen. Ich glaube, wir haben einfach panische Angst davor, irgendwie Anstoß zu erregen. Deshalb ist bei uns alles, von dem wir glauben, es hinge mit der Nazi-Zeit zusammen, hochmoralisiert. Wenn dann auch nur ein „falsches“ Wort fällt, gehen die Emotionen unwahrscheinlich hoch. Denn wir fürchten, daß das alles, was wir uns aufgebaut haben, in Gefahr bringt. Man will das natürlich bloß nicht verspielen, sich nicht alles wieder kaputtmachen lassen. Und diesen Reflex kriegt Herr Sarrazin jetzt voll ab.

Also eine Art Verunsicherung?

Herzberg: Eine ganz unerhörte Verunsicherung. Endlich haben wir es geschafft, zur Weltgemeinschaft gehören. Und jetzt, wo wir alle davon überzeugt haben, daß wir geläutert sind, in Hollywood die Deutschen nicht mehr ständig nur die Nazis spielen müssen und wir es uns wenigstens beim Fußball auch mal erlauben dürfen, unbeschwert die Fahne zu schwenken, passiert so was! Was mich übrigens als ehemaligen Ossi wirklich überrascht, ist, daß es eine westdeutsche beziehungsweise deutsche Identität nach 1989 im positiven Sinne offenbar nur während einer WM gibt. Eigentlich ist das wie Karneval: Ab Elften Elften, elf Uhr elf ist Fröhlichkeit befohlen. Es ist, als würden wir Deutsche während einer WM vier Wochen Urlaub von uns selbst nehmen. Ich kann das menschlich verstehen, aber es wirkt einfach unheimlich verkrampft und unaufrichtig.

Was müßte sich ändern?

Herzberg: So konkret bin ich da jetzt auf Anhieb überfragt, aber auf jeden Fall würde ich mir authentische Menschen wünschen. Leute, die etwas sind und nicht versuchen, etwas vorzuspielen. Irgendwie sind wir ein neurotisches Volk, denn im Grunde hat jeder jeden im Verdacht: Wir trauen dem anderen nicht, wir trauen uns selbst nicht und der Politik sowieso nicht, die wiederum dem Volk nicht traut. Das ist doch schlimm.

In einem Ihrer Songs heißt es: „Märchen der Freiheit / ... Schön wie im Paradies / ... (doch) ich sag dir ehrlich / da ist es auch gefährlich“

Herzberg: Na klar, weil echte Freiheit nach allen Seiten offen ist und sich alles stets verändert. Deshalb wünschen sich die Menschen feste Regeln, an die sie sich halten können. Sarrazin hat diese übertreten, das macht uns Angst. Aber hallo! Der Mann hat ein Buch geschrieben, mehr nicht. Dafür wird er jetzt mit Hitler verglichen. Was für ein Quatsch!

Was beeindruckt Sie an Sarrazins Thesen?

Herzberg: Ich finde es zum Beispiel interessant, daß er mal zu fragen wagt, über wen reden wir eigentlich beim Thema Einwanderung? Meist geht es da doch um die Einwanderer: Was sie brauchen, wie wir sie aufnehmen, welche Chancen wir ihnen bieten, vielleicht auch welche Tests sie machen müssen? Aber es wird eigentlich nie über die andere Seite geredet. Komischerweise kommen wir, die Deutschen, dabei kaum vor. Sarrazin aber wirft die Frage auf, ob Integration nicht vielleicht in erster Linie eine „Bringschuld“ der Einwanderer bedeutet, nämlich den Willen und das Bemühen sich uns anzupassen, und nicht andersherum. Das finde ich eine gute Frage.

Warum wird eine so offensichtliche Frage nicht längst diskutiert?

Herzberg: Es gibt eben diesen unausgesprochenen Konsens, sich auf alle Fragen, die unsere Identität berühren, nicht einzulassen, egal ob von links oder rechts. Sie wissen was ich meine, „Bevölkerung“ statt „Volk“ zu sagen, oder „die Menschen in unserem Lande“ statt „Deutsche“ usw. Ich glaube aber, in Wahrheit vermissen die Leute das, und bei Sarrazin da klingt das an, bei ihm geht es plötzlich wieder ganz konkret um uns Deutsche. Er fragt ja, was passiert mit uns in Zukunft? Was passiert mit uns, wenn diese Faktoren – Einwanderung, Demographie, Bildung, etc. – sich so fortsetzen wie bisher? Was passiert, wenn diese Ausdünnung der Deutschen weiter zunimmt? Da hat er doch recht, das muß doch mal diskutiert werden.

Warum interessiert Sie das?

Herzberg: Ich weiß nicht, irgendwie hänge ich an all dem, an Berlin, den Menschen, an Landschaften und auch an dem Thema Deutschland. Irgendwie bin ich da mit dem Herzen dabei. Das hat schon was mit Liebe zu tun. Mir ist das Schicksal meiner Heimat und meines Landes jedenfalls nicht egal. Und ich glaube, den vielen Leuten, die ihm zustimmen, geht es auch nicht um den Genetik-Schnickschnack, sondern sie finden genau diese Sorge bei ihm wieder. Es ist schon komisch, Sarrazin hat diese scheinbare Emotionslosigkeit, alle diese kalten Zahlen und Fakten, die er auftürmt – und doch, dahinter steckt im Grunde unheimlich viel Gefühl. 

 

André Herzberg, einen „der besten Rocksänger Deutschlands, die Stimme und das Herz einer Legende, der Mythos einer Generation“ nannte die Bild-Zeitung André Herzberg, der 1981 in Ost-Berlin die Rock-Band „Pankow“ gründete, deren Erscheinen „die Zäsur im Rockmusikschaffen der DDR bedeutete“ („Das große DDR-Rock-Buch“). Für den westdeutschen Musikjournalisten Tim Renner, später Deutschland-Chef des US-Musikkonzerns Universal, war „Pankow“ damals „die kommende Band aus dem anderen Teil Deutschlands“, und die New York Times verglich sie mit Punk-Legenden wie „The Clash“ oder den „Talking Heads“. Der Berliner Rias feierte Herzberg als männliches Pendant zu Nina Hagen: „Genauso begabt, genauso herrlich verrückt und genauso unberechenbar.“ Zum Interview treffen wir ihn Mitte letzter Woche in einem kleinen Cafe im alternativ geprägten Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich außer Henryk M. Broder, Ralph Giordano, Necla Kelek und ihm noch kein Prominenter mit Thilo Sarrazin solidarisiert. Geboren wurde André Herzberg (www.andreherzberg.de) 1955 in Ost-Berlin.

Foto: Thilo Sarrazin bei der Vorstellung seines Buches am 30. August in Berlin

 

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