© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Das System des Dschihad gehört zum Islam dazu
Der Soziologe Manfred Kleine-Hartlage analysiert die politische Religion und warnt vor falschen Hoffnungen auf „Modernisierungen“
Harald Seubert

Der Islam bezeichnet eine Existenzfrage westlicher Gesellschaften. Doch wie geht man mit ihm um? Wird in der breiten öffentlichen Debatte seine Andersheit gegenüber dem säkularisierten Westen überhaupt erkannt oder sucht man, Ungleiches gleich zu behandeln?

Der Berliner Soziologe Manfred Kleine-Hartlage hat jüngst ein höchst bemerkenswertes Buch vorgelegt, dem in einer Debatte, die allzuoft vom ideologisch getrübten Blick bestimmt ist, herausragende Bedeutung zukommt. Es sollte Pflichtlektüre sein. Kleine-Hartlage zeigt zunächst prägnant, welche uneingestandenen Prämissen in der westlichen Welt, vor allem aber in Deutschland, daran hindern, mit sachlich klarem Blick die Wirklichkeit des Islam wahrzunehmen. Er beginnt deshalb mit einer meisterlichen Ideologiekritik der impliziten Vorurteile in der gegenwärtigen Debatte: dies sind unter anderem der gängige Kulturrelativismus, die Vorstellung, alle (zumindest monotheistischen) Religionen wollten letztlich das gleiche, und die Einschätzung, daß Religion doch „Privatsache“ sei. Solche Auffassungen müssen für den Islam und die Wirklichkeit blind machen. Sie verwechseln Normen mit Tatsachen und formulieren eine „Ethik“, die aller historischen Erfahrung zuwiderläuft.

Im Zentrum des Buches steht indes eine Themenanalyse des Koran, die die innere Stringenz und Systematik der monotheistischen Gesetzesreligion klar verständlich entwickelt. Das Neue an diesem Ansatz ist, daß Kleine-Hartlage den Koran als ein geschlossenes Gedankengebäude interpretiert, was nur dem islamischen Selbstverständnis gemäß ist. In ähnlich konziser Form wird man den Wesensgehalt des Islam sonst kaum formuliert finden. Dabei macht Kleine-Hartlages Analyse schlagend deutlich, daß es zu nichts führt, wenn man einzelne „gewaltträchtige“ Stellen des Koran gegen vermeintlich ähnlich gelagerte Passagen der Heiligen Schriften anderer Religionen ausspielt. Auch der standardisierte Einwand, man müsse „dies differenzierter sehen“, „den“ Islam gebe es nicht, denn allzu tief seien die Unterschiede zwischen den verschiedenen Strömungen, wird der Analyse Kleine-Hartlages kaum standhalten. Der Koran, als unmittelbares Diktat Gottes an den Propheten, hat höchste Bindekraft.

Aus dem mekkanischen Koran kristallisieren sich wenige wiederkehrende Themen heraus: Einheit Gottes, verbunden mit der Polemik gegen Christen und Juden, Prädestination und Allmacht Allahs, Lohn für den Gläubigen, Strafe für den Ungläubigen. Der medinensische Koran dann legt diese Implikationen einer politischen Religion offen: von der Bedeutung des Heiligen Krieges, den Verheißungen für gefallene „Märtyrer“ über das apodiktische Apostasieverbot. Kleine-Hartlages Fazit ist eindeutig: Die Dschihad-Vorschriften seien „nur das letzte Glied einer lückenlosen Kette von Normen, die (...) den Islam als ein soziales System konstituieren, das auf Expansion auf Kosten nichtmuslimischer Gemeinschaften ausgerichtet ist“. Er legt auch mit großer argumentativer Schlüssigkeit dar, weshalb das Christentum als Religion der Menschwerdung Gottes mit der Moderne vereinbar, besser: für sie grundlegend sei, der Islam aber eben nicht. Ihn konstituiert die Einheit von Religion und Politik, der Wille, den gottgemäßen Zustand auf Erden zu errichten.

Doch wie steht es dann mit den Ansätzen zu einem „Euro-Islam“ nach den Vorstellungen von Tariq Ramadan und anderen? Kleine-Hartlage legt am Ende seines Buches prägnant dar, daß es dessen Theoretikern letztlich nicht um eine Modernisierung des Islam, sondern eine Islamisierung der Moderne geht. Wenn man die einschlägigen Äußerungen ihrer Rhetorik entkleidet, zeigt sich, daß der Islam der westlichen Welt als Alternative schmackhaft gemacht wird: seine Faszinationskraft ist beträchtlich. Auch wenn die islamische Rechtslehre (Fikh) flexibler gefaßt wird, bedeutet dies doch keineswegs schon eine Adaption an ein freiheitliches Republikprinzip. Auch der „Vertrag“ mit westlichen Gemeinwesen ändert nichts daran, daß diese in islamischer Sicht „Staaten der Ungläubigen“ bleiben müssen. Sonst gäbe der Islam sich selbst auf. 

In einer bedrückenden Übersicht resümiert Kleine-Hartlage die Geschichte des Dschihad vom islamischen Kriegsrecht, über demographische Expansionen in Spätantike und Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Dabei zeigt sich auch, daß die Dhimmitude, also der „Schutz“ des Islam für Schriftbesitzer, Juden und Christen, ein Mittel weiterer Islamisierung gewesen ist, mit Menschenraub, Deportation, vor allem aber dem Verbot jedweder Kritik am Islam. Ein Kapitel über den „Dschihad heute“ – in der westlichen Welt – schließt das Buch ab. Verschwörungstheorien sind fehl am Platz, auch dies zeigt Kleine-Hartlage schlagend. Von jedem Punkt des internationalen Netzes kann der Dschihad als Kampf gegen fremde Religionen, Völker, Staatssysteme, ausgehen. Seine Intensität mag wechseln. „Bisweilen gleicht er einer Feuersbrunst, dann wieder verteilt er sich auf viele kleine Brandherde, aber er endet niemals.“

Man wird diesem couragierten, nüchtern und klar geschriebenen Buch, das gerade darin überzeugend ist, daß es ohne jede Polemik auskommt, entgegenhalten können, der Islam sei auch anderes: Religion, Friede in Gott; nicht zuletzt hat er die beeindruckende Mystik der Sufis hervorgebracht. Dies ändert nichts daran, daß das „Dschihadsystem“ sein eisernes Gehäuse und seine Waffe ist. Mit Kleine-Hartlage wird man sich auseinandersetzen müssen, wenn man sich nicht in abstrakten Träumereien verlieren will.

Manfred Kleine-Hartlage: Das Dschihadsystem – Wie der Islam funktioniert. Resch Verlag, Gräfelfing 2010, broschiert, 296 Seiten, 19,90 Euro

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