© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Kolumne
Kopf und Herz
Rolf Stolz

Das „Herz für unser Volk“, das schon Ludwig Uhland bei manchem Mit-Demokraten vermißte, ist heute nicht häufiger anzutreffen als in den bleiernen Vormärzzeiten. Andererseits ist bei manchen zwar das Herz am rechten Fleck und schlägt heiß für die deutschen Belange, aber sein unerläßliches Gegenstück fehlt: ein kühler Kopf, sprich die Fähigkeit, strategisch zu überblicken, woher wir kommen, wie die eigenen Kräfte sind, wann und in welcher Richtung Gegenwehr und ein Durchbrechen der gegnerischen Linien möglich ist.

Herzlose Kopflastige und kopflose Heißsporne wünschen sich die Gegner dieser Linie. Man will, daß spontane Wut sich ziellos entlädt, daß weitere Parteigründungsexperimente scheitern, daß der Widerstand kanalisiert, kriminalisiert und ausgelöscht werden kann. Auch wenn die herrschende „classe politique“ längst abgewirtschaftet hat – bis sie gezwungen sein wird abzutreten, ist es noch ein gewundener Weg. Klären muß sich dabei, welche führenden Köpfe mit welchem Programm antreten und unter welchen Fahnen sich das Volk sammelt. So sehr ich als unabhängiger Linker mir wünsche, daß die demokratische Rechte ihre Zersplitterung und Ohnmacht (und die babylonische Gefangenschaft vieler Aufrechter in der CDU!) überwindet, hätte eine deutsche FPÖ genügend Kraft, um mehr zu werden als eine bessere FDP? Wäre sie nur ein bald verschwundenes Übergangsphänomen wie einst die DP? Man sollte nicht vergessen, daß die einzige historisch neue Partei von Dauer in der Nachkriegszeit die Grünen waren – und sie begannen 1979 jenseits von altlinks und altrechts als Anti-Parteien-Partei „von Gruhl bis Dutschke“. Eine Partei von Sarrazin bis Steinbach, von Broder bis Bosbach wäre zwar schwieriger zusammenzuhalten und zu führen als eine lupenreine konservative Gruppierung, aber sie hätte eher das Potential, die Dinge zu bessern.

 Die Chance zur Einigung der Aufrechten wächst. Ob man für oder gegen Atomenergie, für oder gegen den Kapitalismus ist – welcher anständige Mensch kann die Verschleuderung der Staatsgelder an die Stromkonzerne und die Banken und die dafür erforderliche Ausplünderung des Volkes gutheißen? Welcher anständige Mensch will nicht ein Deutschland ohne Bildungsmisere, ohne Massenarbeitslosigkeit und Scharia-Propagandisten, in dem alte und neue Deutsche gleichberechtigt leben und Merkel „and friends“ den verdienten Ruhestand in ihrer Wandlitzer Datscha oder ananaszüchtend in Alaska verbringen?

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

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