© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Empörung im Obama-Lager
USA: Die Unternehmer David und Charles Koch unterstützen die Tea-Party-Bewegung / Soros spendet für Linke
Elliot Neaman

Die Tea Party, eine Bewegung der Unzufriedenen ohne formale Strukturen, geschriebenes Parteiprogramm oder offizielle Anführer, läßt die Muskeln spielen und versetzt das liberale Amerika in Hysterie – vorige Woche demonstrierten Tausende in Sacramento, Washington und St. Louis. Ihr (inoffizieller) Kopf ist die ehemalige republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, die lange als politische Barbiepuppe verschrien war (JF 16/10). Wenn sie aber wirklich so dämlich wäre, wie ihre Gegner spotten, würde die Washington Post sich wohl kaum die Mühe machen, auf einer Internetseite zu verfolgen, welche Kandidaten sie bei den Kongreßwahlen am 2. November unterstützt. Zwanzig der von ihr unterstützten Kandidaten gewannen die Vorwahlen, zehn unterlagen.

Tea Party gefährdet Obamas Mehrheit im Kongreß

Nur 39 Sitze müssen die Republikaner hinzugewinnen, um die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückzuerobern, und auch im Senat ist alles offen, obwohl dort nur über ein Drittel der Mandate neu entschieden wird. Dank Palins Unterstützung besiegte Joe Miller die amtierende Senatorin Lisa Mukorwski, obwohl – oder gerade – weil sie im einflußreichen Appropriations Committee sitzt, das Millionen Dollar aus Washington ins ferne Alaska verteilt. In Arizona setzte der Tea-Party-Kandidat J. D. Hayworth auch ohne Palins Hilfe Senator John McCain so hart zu, daß er die Vorwahl nur durch eine scharfe Rechtswende (und Palins passive Unterstützung) noch für sich entscheiden konnte.

Am 28. August trat Palin mit dem populären Radiomoderator Glenn Beck (JF 15/10) als Stargast bei einer Großkundgebung in Washington unter dem Motto „Restoring Honor“ („Ehre wiederherstellen“) auf. Hauptsächlich weiße Angehörige der Mittelschicht bejubelten vor dem Lincoln Memorial Becks Selbstdarstellung als Nachfolger des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King, der am selben Ort vor 47 Jahren seine berühmte „Ich habe einen Traum“-Rede hielt (JF 35/10).

Die Zeiten, in denen Kritiker der Tea Party deren Bedeutung herunterspielen konnten, sind vorbei. Die Wahlen drohen zum Desaster für Barack Oba-ma und seine Demokraten zu werden. Dementsprechend wird nun eine neue Strategie verfolgt: Man wirft den Tea-Party-Aktivisten vor, die US-Bürger als nützliche Idioten für die Interessen der Großunternehmen im Kampf gegen Obamas vermeintlich wirtschaftsfeindliche Politik zu mißbrauchen. Das beste Beispiel dafür sind Presseenthüllungen über die Brüder David und Charles Koch, deren riesiges Geschäftsimperium, laut Forbes das zweitgrößte Privatunternehmen in den USA, sie beinahe so reich gemacht hat wie Bill Gates oder Warren Buffett.

Die Koch-Brüder sind Libertär-Fundamentalisten der amerikanischen Art (im Gegensatz zu europäischen Libertären, die politisch eher links sind). Sie befürworten einen äußerst schlanken Staat, dessen Aufgaben sich auf die Verteidigung der Grenzen und die Durchsetzung von Recht und Ordnung beschränken, insbesondere den Schutz des Eigentums. Von dieser Warte aus gesehen ist ein Großteil des modernen US-Regierungsapparats nicht nur überflüssig, sondern illegitim: das Notenbanksystem, die Rentenkasse, Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung und vor allem Vorschriften zum Umweltschutz.

Die Koch-Brüder sehen sich in der Tradition des Unternehmers und Radiomoderators Robert LeFevre (1911–1986), der den Staat ganz abschaffen wollte, da politische Freiheit im eigentlichen Sinn nur ohne ihn möglich sei. Da ihm der Begriff Anarchismus mißfiel, bezeichnete er sich als Autarkisten. Zunächst versuchten die Kochs ihre Ziele auf politischem Weg durchzusetzen. David bewarb sich 1980 als Kandidat der Libertären – rechtsaußen von Ronald Reagan – um die Vizepräsidentschaft. Da die Libertarian Party sich mit einem Prozent begnügen mußte, begannen die Brüder hinter den Kulissen zu agieren: Sie gründeten und finanzierten libertäre Denkfabriken wie das Cato Institute, das zu den einflußreichsten konservativen Organisationen im vorpolitischen Raum zählt. Durch diese und ähnliche Einrichtungen sowie vermeintliche Graswurzelbewegungen unterstützen sie Politiker, die ihre Überzeugungen und Interessen vertreten. Im Jahr 2000 wendeten sie 900.000 Dollar auf, um George W. Bush und anderen Republikanern zum Wahlsieg zu verhelfen.

Fundamentalprotest gegen die Regierungspolitik

Diesen Erfolgen zum Trotz konnte sich der „Autarkismus“ zum Verdruß der Kochs niemals als Massenbewegung durchsetzen. Als sich nach Oba-mas Wahlsieg aus Protest gegen die Ausgabenpolitik seiner Regierung die Tea Party gründete, nutzte ihre Organisation Americans for Prosperity (AFP/„Amerikaner für den Wohlstand“) die Gunst der Stunde und begann die Aktivitäten der Tea Party – Veranstaltungen, Internetauftritte, Lobbypolitik, usw. – finanziell und logistisch zu unterstützen. Auch den Kongreßwahlkampf läßt sich „Americans for Prosperity“ mehrere Millionen Dollar kosten. Endlich haben die Koch-Brüder eine Massenbewegung gefunden, die sie zur Propagierung ihrer Ideen einspannen können.

Die Brüder haben stets sehr zurückgezogen gelebt. Sie haben es vermieden, ihr Unternehmen in eine AG umzuwandeln, da es als solche strikten Transparenzbestimmungen unterliegen würde. David Koch hat sich in der New Yorker Kunstszene einen Namen als Mäzen gemacht, und in der dortigen Kulturschickeria reagierte man mit Entsetzen, als seine Verbindungen zur Tea Party bekannt wurden. Diese Empörung scheint heuchlerisch. Schließlich spendet etwa George Soros Millionen Dollar für liberale Zwecke, ohne daß ihm jemand einen Strick daraus dreht. In Amerika bedeutet Reichtum die Freiheit, die eigene Meinung zu verbreiten, und man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, daß der im öffentlichen Raum ausgetragene Ideenwettstreit – so radikal sie auch sein mögen – der Demokratie guttut. Denkfabriken haben die politischen Debatten in den USA bereichert, und anders als in Europa sind sie an keine der großen Parteien gebunden.

Es ließe sich einwenden, daß Soros kein Geheimnis daraus macht, wofür und in welcher Höhe er spendet, während die Kochs sich lieber im Hintergrund halten. Aber warum soll das eine ethischer sein als das andere? In einem langen Exposé, das jüngst im New Yorker veröffentlicht wurde, führt Jane Mayer verschiedene Vorwürfe auf, die gegen die Geschäftspraktiken der Firma Koch Industries erhoben werden. Sollte an den Vorwürfen, Umweltschutzvorschriften umgangen zu haben, etwas dran sein, werden die Brüder sich deswegen vor Gericht verantworten müssen.

Manche Stimmen behaupten, Soros schade durch seine Unterstützung linker Organisationen den eigenen Geschäftsinteressen, während die Koch-Brüder die ihren förderten. Einleuchtender erscheint die Annahme, daß sowohl Soros als auch die Kochs tatsächlich an die Ideen glauben, die sie durch Zuwendungen unterstützen. Die Bemühungen, Dreck am Stecken der Kochs zu finden, sind lediglich verzweifelte Versuche frustrierter Obama-Anhänger, eine dunkle Macht für den unerklärlichen Aufstieg der Tea Party verantwortlich zu machen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.Übersicht der Tea Party-Vorwahlerfolge: www.washingtonpost.com

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