© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Gesichter eines Jahrhunderts
Ein Festspielhaus für Lenbach und Leibl: Zehn Jahre Museum Georg Schäfer in Schweinfurt
Sebastian Hennig

Im Jahr 1883 legte Friedrich Fischer mit der Erfindung einer Kugelschleifmaschine die Grundlage der Wälzlagerindustrie in Schweinfurt. Die Stadt verzeichnete in dieser Zeit den zweitgrößten Bevölkerungszuwachs in Franken nach Nürnberg. Die Produktion der FAG Kugelfischer war kriegswichtig. Eine schreckliche Konsequenz der wirtschaftlichen Prosperität war die Zerstörung des alten Schweinfurts durch die alliierten Luftstreitkräfte in den vierziger Jahren, die allerdings im dortigen Luftraum auch ihre stärksten Verluste hatten. So läßt sich die Stiftung des Museums vielleicht auch als Beitrag zur Wiederbelebung der weitgehend ausgelöschten Urbanität der mainfränkischen Kleinstadt verstehen.

Georg Schäfer versammelte zwischen 1950 und 1973 tausend Gemälde, darunter den größten zusammenhängenden Bestand an Bildern von Carl Spitzweg und 4.600 Arbeiten auf Papier. Schon zu Lebzeiten beabsichtigte er, ein Gemäldemuseum in seiner Heimatstadt einzurichten. Nach seinem Tode gewährleisteten die Erben die wissenschaftliche Erschließung der auf Schloß Obbach aufbewahrten Bestände. In den achtziger Jahren wurde wieder die Einrichtung eines Museums in Schweinfurt konkret ins Auge gefaßt. 1989 gab es einen Stadtratsbeschluß, der in dieser Richtung wirkte, als schließlich wirtschaftliche Aktivitäten des Konzerns unmittelbar nach der Wiedervereinigung zur Verpfändung eines Teils der Sammlung führten.

Auf dem unvollendeten Rohbau eines Parkhauses am Mainufer wurde dann vor zehn Jahren das Museum Georg Schäfer eröffnet. Das Bauwerk des Architekten Volker Staab, der unlängst mit dem Albertinum in Dresden eine ähnlich komplizierte Aufgabe ebenso umsichtig löste, ist ein Bildermuseum alten Stils mit allen Vorzügen moderner Baukunst ohne programmatisch herausgestellte Modernität. Ein Neubau ausschließlich für die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts zu einer Zeit, in der einerseits Museen der Moderne emporwachsen, die selbst Skulpturen sind, in denen sich Objekte und Relikte, oftmals ohne klar konturierten Werkcharakter, aufgestellt finden und andererseits das älteste Museumsgut in teure und schrille Fassungen gezwängt wird.

In Unterfranken bewirkte die Gemeinschaftsleistung der Eigentümer der Sammlung, des Freistaats Bayern und der Stadt Schweinfurt ein Festspielhaus für die Bildende Kunst einer immer noch rehabilitationsbedürftigen Epoche. In einer Einrichtung mit begrenztem Raum und nur vier Festangestellten gestaltete sich die Museumsarbeit notgedrungen dynamisch. Wechselnde Hängung der Sammlung, wirkungsvolle Konfrontationen in Sonderausstellungen und ein reger Leihverkehr bringen die Vorzüge der bewahrten Werke zur Geltung. Die Ausrichtung einer umfassenden Albert-Weisgerber-Ausstellung brachte das Haus im vergangenen Jahr zwar an den Rand seines Fassungsvermögens. Doch das Ergebnis war dann die umfassende Ansicht eines Gesamtwerkes, die zur Neubewertung des Künstlers einlud.

Aus Gründen der Sicherheit und mehr noch der Versicherung gelingt das seit einigen Jahrzehnten bei den großen Meistern nur noch ganz selten und unter Aufbietung aller, vor allem finanzieller Reserven. Das Museum vertritt mit seiner Spezialsammlung sicher einen beschränkten Teil des Gesamtspektrums der künstlerischen Hinterlassenschaften, aber diesen Bereich kann es ausfüllen. Vor allem die Schwerpunkte der eigenen Bestände bestimmen die Ausrichtung der Sonderausstellungen, die bisher schon Adolph von Menzel, Carl Spitzweg, Leo Putz, Wilhelm von Kobell und Rudolf von Alt gewidmet waren. Auch wurden die Schweinfurter Bilder prominenten Leihgaben zum Beispiel der Werke von Delacroix oder Manet gegenübergestellt.

Die Jubiläumsausstellung „Meisterwerke der Porträtkunst“ wird nun allein mit den Eigenbeständen des Hauses bestritten. Das Gesicht eines Jahrhunderts in allen Facetten blickt auf den Betrachter. Eine Zeit, die zwar keinen verbindlichen Stil mehr hervorbrachte, aber immer noch genug Vermögen besaß, das Dasein getreu und spannungsvoll zu schildern, oftmals mit Rückgriffen auf verehrte Vorbilder.

Es ist staunenswert, welche berühmten Antlitze einem von den Wänden entgegentreten. Die Urkunde so mancher tradierter Überlieferung vom Äußeren eines dieser hervorragenden Männer befindet sich in Schweinfurt: das Pastell vom jugendlichen Paul Heyse, Kants kompaktes Köpfchen auf einer Gouache-Miniatur von C. Vernet, eine Kohlezeichnung Liebermanns vom dirigierenden Richard Wagner, Lenbachs Porträts des „Eisernen Kanzlers“, das Rötel-Selbstbildnis des 14jährigen Wilhelm Leibl. Von Franz Krüger stammt ein ungewöhnliches Blatt mit dem jugendlichen Otto von Bismarck als lässigem Dandy. Liebermanns Darstellung des Malerfreundes Fritz von Uhde zeigt diesen korrekt gekleidet mit wehendem Schnauzbart, mit Stock und Handschuhen schaut er etwas wehmütig erschrocken drein.

Ernst Karl Georg Zimmermanns „Bildnis des Künstlers mit seiner Familie“ von 1882 mit dem herausleuchtenden Kleinkind im Taufkleid nähert sich in maltechnischer Virtuosität Rembrandts spätem Familienbild aus der Braunschweiger Galerie. Arnold Böcklins „Judith“(1888) starrt aus mandelförmigen Schlitzen auf das Tablett mit Rotweinkaraffe, welches auf den zehn Fingerspitzen ihrer Hände gleichmäßig ruht. Der Rosenheimer Maler Eugen Ränkel malte 1951 Wilhelm Leibls letztes Modell Babette Jordan, die „Wabn“ im Alter von 71 Jahren im Trachtenkleid mit Pelzkappe. Menzels unbestechliche Meisterschaft zeigt sich in der mit dem spröden Zimmermannsbleistift aufgefaßten, etwas indiskreten Momentaufnahme des Neffen Otto Krigar. Reisemüde hat der spätere Physiker das knabenhafte Haupt in das Kissen des Hotelbettes gedreht, während sein Arm schlaff über die Matratze hängt.

Die Ausstellung „Meisterwerke der Porträtkunst“ ist bis zum 31. Oktober im Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, täglich außer montags von 10 bis 17, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Der Ausstellungskatalog (256 Seiten, 228 Abbildungen) mit einer Dokumentation der bisherigen Museumsarbeit kostet 34 Euro.

Foto: Vincenz Georg Kininger, Alois Wenzel Fürst Kaunitz und Familie im Garten, um 1810 (Aquarell, Gouache, Rötel, Bleistift): Eine immer noch rehabilitationsbedürftige Epoche

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