© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Ein zu Unrecht Vergessener
Zum 250. Geburtstag von Luigi Cherubini
Wiebke Dethlefs

Er war einer der geehrtesten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Beethoven empfand tiefe Hochachtung vor seiner Kunst. Brahms achtete ihn als großen Könner in unanzweifelbarer technischer  Handwerksbeherrschung. Cherubinis Requiem sah Hector Berlioz als das größte musikalische Kunstwerk der Epche an. Doch wenig ist heute von dem Florentiner Cherubini noch lebendig. Sein Leben verlief höchst unspektakulär. Nach einer kurzen Epoche als Hofkomponist in London lebte er von 1788 bis zu seinem Tod 1842 in Paris. In dieser Zeit war er unter anderem als Theaterdirektor tätig, schuf ein bedeutendes Lehrbuch über den Kontrapunkt und stand ab 1821 dem Konservatorium als Direktor vor.

Ruhm als Komponist erwarb er sich insbesondere durch seine Opern, „Les deux journées“ (Der Wasserträger) von 1800, „Anacré-on“ (1803) und „Les Abencérages“ (1813), eine Geschichte aus dem maurischen Spanien, sein vielleicht bedeutendstes Bühnenwerk. Doch nach seinem Tod ging rasch die Begeisterung für sein Werk zurück und nur das Requiem von 1816 und einige Streichquartette, die ähnlich radikal wie des späten Beethoven sind, werden heute noch hie und da aufgeführt.

Wie konnte es zu diesem Umschwung kommen? Aus Cherubinis Musik spricht ein herber, der Klangsinnlichkeit abgeneigter Zug, darin ähnlich auch dem Schaffen Glucks, das in seiner antiken Kühle ebensowenig noch gepflegt wird. Cherubinis kunsttechnische Meisterschaft zwingt alle Gefühlsregungen unter einen strengen formbildnerischen Willen. Seine hochartifizielle Kunst bringt kaum Konzessionen an den Durchschnittsgeschmack des Publikums, das insbesondere in der Oper populär-melodische Soloszenen, pompöse Aufzüge oder zumindest große Leidenschaften erwartete. Die gibt es bei Cherubini kaum, obwohl fast alle Opern Rettungs- oder Wiedervereinigungsstücke sind, die ihren geistigen Gehalt der Französischen Revolution entnahmen. Fast scheint es, als wenn er in seiner klassisch-ästhetischen Warte bewußt an der dramatisch-brutalen Wirklichkeit vorbeieilt und sich dafür verstärkt in absolut-musikalische „Vortrefflichkeiten“ flüchtet, wie es der Musikwissenschaftler Oskar Bie 1913 ausdrückte. Bie resümiert lapidar, daß  Cherubini „heute tot ist, weil er nur halb lebte. Naturen wie die seine haben früh zu sterben; gleichwohl wurde er 82 Jahre alt. (…) Cherubinis Werk ist sehr viel Kunst, vielleicht nur Kunst?“

Doch vielleicht kann gerade diese emotionsarm-klassizistische Coolness in der heutigen Zeit dem Komponisten wieder einiges Interesse entgegenbringen. Ein Jubiläum ist dafür immer ein guter Anlaß.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen