© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Farbwechsel bei der „Basler Zeitung“: Die Schweizer Medienwelt verändert sich
Das freie Wort führen
Paul Leonhard

Unter der Überschrift „Wirtschaftsweisen oder Laien?“ hinterfragt die Basler Zeitung die Kompetenz von vier aussichtsreichen Kandidaten für zwei freie Sitze im Bundesrat. Wer ist der Geeignetste angesichts globaler Finanzkrise, Bankgeheimnis, Euro-Rettung? Es ist einer der ersten Artikel, die unter der Regie des neuen Chefredakteurs Markus Somm gedruckt werden. Und die Leser sind begeistert. „Früher wäre eine solch kritische Einschätzung der Kandidaten wohl nicht möglich gewesen“, schreibt beispielsweise Paul Schlupp.

Viele Basler freuen sich auf unabhängigen Journalismus

Viele Basler wünschen sich, daß bei der einzigen Tageszeitung wieder unabhängiger Journalismus einzieht, der linksliberale Mainstream-Journalismus durch einen kritischen investigativen Journalismus abgelöst wird. „Basel benötigt dringend einen mutigen Journalisten, der die Interessen der Einheimischen und Nicht-Sozialisten mutig und standhaft vertritt“, heißt es in einem Leserbeitrag. Man wünscht dem 45jährigen Somm Erfolg auf seinem Weg, die Basler Zeitung mit „exzellentem, rechts orientiertem Journalismus“ zu einer „wieder lesenswerten Tageszeitung“ zu machen. Aber auch die Gegner formieren sich. Allen voran die Jusos Basel-Stadt „fürchten um die objektive Medienberichterstattung im linksliberalen Basel“. Juso-Präsidentin Sarah Wyss forderte die Basler bereits auf, ihr Abo zu kündigen.

Die Angst vor unabhängigem Journalismus ist im linksliberalen Spektrum groß. Das liegt auch daran, daß dem am 30. August von Verleger Martin Wagner überraschend zum Chefredakteur gekürten Markus Somm ein hervorragender Ruf vorauseilt. Somm, bisher Stellvertreter von Weltwoche-Chefredakteur und Verleger Roger Köppel, der das Schweizer Wochenmagazin als konservativ geprägte Zeitung ausgerichtet hat (JF 21/10), gilt als wertkonservativer Vollblutjournalist, der kein Blatt vor den Mund nimmt und klare Positionen vertritt. Der Neue habe sich seinen „Marktwert mit dem Eindreschen auf alles Linke und was er dafür hält“ geschaffen, konstatiert Rolf Hürzeler, Chefredakteur des Magazins Saldo. Aber Hürzeler erinnert auch daran, daß die Basler Zeitung wirtschaftlich bisher keine Erfolgsgeschichte war. Ihre letzte geprüfte Auflage wird mit 93.342 angegeben (2008).

Der von Verleger Wagner gesteckte Anspruch ist hoch. Die bisher eher harmlose BaZ soll eine „starke Regionalzeitung mit nationaler Ausstrahlung“ werden. „Wir wollen nach vorne. Wir verdienen mehr Wahrnehmung“, hatte Wagner erklärt. Keine leichte Aufgabe für Somm, der mit begrenzten Mitteln Terrain halten muß und trotzdem die Zeitung im Schweizer Medienmarkt neu platzieren soll. Zwar soll es keine weiteren Entlassungen geben, aber nach der Übernahme der „Basler Zeitung Medien“ Anfang des Jahres durch Tito Tettamanti (JF 37/10) und Wagner mußten Verlag und Redaktion „zusammenrücken“.

Verleger Wagner setzt auf Ausgewogenheit und mündige Leser. Wer im Zeitungswesen guten Journalismus machen könne, werde wirtschaftlich überleben. In der Basler Zeitung sollen künftig auch andere Meinungen ihren Platz finden und „politische und inhaltliche Debatten in der Redaktion“ geführt werden. Deren Sympathien soll sich Somm nach einem Bericht des Tages-Anzeigers bereits teilweise gesichert haben. Man habe einen Chefredakteurswechsel herbeigesehnt und wolle Somm „nach seinem ersten Auftritt eine Chance geben“. Das ist weniger arrogant, als es klingt. Im Gegensatz zur Weltwoche ist die Basler Zeitung keine Autorenzeitung. Zudem ist Urs Buess, der bisherige stellvertretende Chefredakteur, auf seinem Posten verblieben. Buess gilt als eher links. Einst war er Somms Vorgesetzter beim Tages-Anzeiger. Beide werden künftig das Blatt präsentieren.

„Dieses Spannungsfeld zwischen Chef und Vize kann publizistisch äußerst fruchtbare Ergebnisse zeitigen“, schreibt das Medienmagazin Klartext. Die Leser können sich also, wie bereits in der Weltwoche, auf kontroverse Standpunkte von links und rechts freuen. Und was solle so schlimm sein, so Klartext, wenn hauptsächlich Markus Somm den Ton angibt? Die Schweizer Zeitungslandschaft würde „durchaus ein Blatt vertragen, das politisch klar zu verorten ist“.

Die Zeiten sind gut für die Basler Zeitung. Gegen den Trend in der Deutschschweiz hat die Zeitung nach eigenen Angaben neue Leser gewonnen. Die anderen Tageszeitungen – mit Ausnahme des Blick – haben dagegen laut einer im September veröffentlichten Erhebung der Werbemedienforschungsfirma WEMF an Auflage verloren. „Ein Leben ohne den täglichen Ärger über den linken Kampagnen- und Gutmenschen-Journalismus der Basler Zeitung wird ohne Zweifel ungewöhnlich werden“, blickt Leser Martin Widmer voraus. Bei zu großen Entzugserscheinungen werde er „einfach einen Blick nach links in den linken ‘Blick’ werfen – wehmütig mich an den treuen Ärger erinnernd, alles wird gut“. Im Fall Sarrazin hatte sich Somm bereits deutlich zu Wort gemeldet: Nicht Redeverbote schützten die Demokratie, sondern das freie Wort für jeden, ganz gleich, wie höflich oder unanständig es vorgetragen werde.

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