© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Herrn von Ribbecks Traum
Nach der Wiedervereinigung kehrten Nachkommen der Enteigneten zurück – auch ohne Rückgabe des Eigentums
Hinrich Rohbohm

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand.
Und kam die goldene Herbsteszeit
und die Birnen leuchteten weit und breit,
da stopfte, wenn‘s Mittag vom Turme scholl,
der von Ribbeck sich beide Taschen voll.
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
so rief er: „Junge, wiste ‘ne Beer?“
Und kam ein Mädel, so rief er: „Lütt Dirn, kumm man röwer, ick hebb ‘ne Birn.“
Theodor Fontane

Die aus dem Jahr 1889 stammende Ballade Theodor Fontanes vom Birnen verschenkenden Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ist legendär. Noch heute ist sie vielen Deutschen ein Begriff. Tatsächlich hat das Werk des aus dem brandenburgischen Neuruppin stammenden Schriftstellers einen realen Hintergrund. Denn der Ort Ribbeck existiert ebenso wie der Herr Ribbeck und dessen Gut, das neben den populären Birnenversen inzwischen auch ein Stück deutsche Einheitsgeschichte geschrieben hat.

„Ich habe meinen Frieden mit dem Schloß gefunden“

Ribbeck, das ist heute ein gerade einmal 383 Einwohner zählender Ortsteil der brandenburgischen Kleinstadt Nauen im Landkreis Havelland, knapp 30 Kilometer westlich von Berlin gelegen. Hier wohnt Friedrich von Ribbeck, ein Nachkomme des legendären Gutsherrn Hans-Georg von Ribbeck, der Fontane für seine Ballade als reales Vorbild diente.

Der Enkel des letzten Gutsherrn Hans Georg Karl Anton von Ribbeck lebt gemeinsam mit seiner Frau Ute direkt neben dem im vergangenen Jahr renovierten und nun in neuem Glanz erstrahlenden Schloß. In der Straße „Am Birnbaum“, versteht sich. Wenn er heute von seinem Garten auf das Gebäude schaut, spiegelt sich Genugtuung in seinem Gesicht. „Ich habe meinen Frieden mit dem Schloß gefunden“, sagt er heute.

Die Welt des 1939 geborenen Adligen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Fugen geraten war, hat sich wieder zusammengefügt. Er spaziert durch seinen Garten. Hinüber zum gleich nebenan liegenden Familienfriedhof. Mehrere weiße Kreuze fallen dem Betrachter ins Auge. Darunter die dreier Kinder. Werner, Margarete und Ernestine von Ribbeck, die 1893 im Alter von vier, fünf und elf Jahren an den Folgen einer Diphterie-Erkrankung nahezu gleichzeitig ums Leben kamen.

Etwas abseits von den weißen Kreuzen befindet sich ein gut ein Meter hoher und ebenso breiter Granitstein. Er wurde zum Gedenken an Friedrich von Ribbecks Großvater aufgestellt, den Bruder der jung verstorbenen Geschwister. Sein Enkel hat ein paar Birnen gepflückt. „Sie sind jetzt reif“, sagt er, während er drei von ihnen behutsam auf den Gedenkstein legt. Von Ribbeck hat die alten Sorten wieder angebaut. Jene, die schon zu Zeiten von Fontanes Ribbeck-Ballade die Jungs und Dirns so gemundet haben müssen.

Eine weitere Birne behält er in der Hand, und fast scheint es so, als wollte er gleich fragen: „Junge, wiste ‘ne Beer?“ Dann beginnt Friedrich von Ribbeck zu erzählen. Von seiner Kindheit, die er auf dem Gut verbracht hat.

Gemeinsam mit seinen Eltern wohnt er während des Krieges neben dem Schloß des Großvaters. „Wir waren nur selten im Schloß. Meist zu Familienfeiern“, erinnert sich der gelernte Volkswirt.

Er denkt an den Krieg. Daran, wie sein Großvater das Schloß 1943 verlassen muß, als es von einer Luftwaffeneinheit der Wehrmacht besetzt wird. Wie sich sein als kaisertreu geltender Großvater gegen Ende des Krieges mit den Nationalsozialisten anlegt, sich mit Gutsbesitzern und Intellektuellen trifft, die Hitler die Gefolgschaft versagen. Und wie er schließlich im Mai 1944 von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen gesteckt wird, wo man ihn im Februar 1945 ermordet.

Er erinnert sich auch an die alliierten Flugzeuge, die auf dem Weg nach Berlin über Ribbeck fliegen und Lametta abwerfen, um die deutsche Flugabwehr zu irritieren. „Als Kinder sagten wir damals dazu, daß Weihnachtsbäume vom Himmel fallen, weil alles so glitzerte.“

Doch der Blick Richtung Hauptstadt verdeutlicht der Familie gegen Kriegsende, wie ernst die Lage geworden ist. „Wir sahen, wie sich der Himmel über Berlin orange färbte“, beschreibt von Ribbeck den damaligen Anblick während der zahlreichen Bombenangriffe auf die Hauptstadt. Nach dem Krieg wird der Gutshof von sowjetischen Soldaten besetzt und die von Ribbecks enteignet. Weil der Großvater im KZ umgekommen ist, gilt die Familie jedoch als Opfer des Faschismus. Ihr wird daher ein Forsthaus in der näheren Umgebung als Wohnstätte zugebilligt.

Doch nur zwei Jahre später ergeht ein Befehl der sowjetischen Militäradministration (SMAD). Er sieht vor, daß die Familie den Ort endgültig zu verlassen hat. Ihr Hab und Gut muß sie zurücklassen. Sie soll in eines der damals zahlreichen sowjetischen Lager gebracht werden. „Wer weiß, was uns da widerfahren wäre“, blickt von Ribbeck nachdenklich zurück. Die Familie hat Glück, wird von einem Freund rechtzeitig gewarnt. Sie kann nach Berlin fliehen. „Von dort sind wir dann per Luftbrücke nach Westdeutschland ausgeflogen worden“, erzählt von Ribbeck.

Vertrieben aus der Heimat und um ihren Besitz gebracht, baut sich die Familie in der Nähe von Lindau am Bodensee eine neue Existenz auf. Friedrich von Ribbeck studiert später Volkswirtschaftslehre in Bonn. Das nun unter kommunistischer Herrschaft befindliche Schloß wird vom Kreis Nauen verwaltet. Ab 1956 wird es als Altenheim genutzt. Zwei Jahre zuvor wurden bereits das Familienwappen und ein Wandgemälde entfernt. Relikte, die nicht in das sozialistische Bild von einem märkischen Junker passten.

Als Jahre später am 9. November 1989 die Mauer in Berlin fällt, glaubt von Ribbeck zunächst an einen Scherz. „Ich hatte das zunächst gar nicht glauben können“, schildert von Ribbeck seine ersten Gedanken von damals. Als die deutsche Einheit kommt, steht für ihn jedoch sofort fest, zurück in die Heimat zu gehen. „Für mich gab es von da an nur noch einen Gedanken: Go east!“ Die Familie stellt Rückübereignungsansprüche, ein nervenaufreibendes Verfahren um die Rückgabe des Gutes entbrennt. Das brandenburgische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen schlägt 1994 die Rückgabe an die Familie vor. Doch es kommt zu Einsprüchen, unter anderem durch den Landkreis Havelland.

Die Familie verzichtet auf die Rückgabe

 1997 weist die Bundesrepublik Deutschland schließlich einen Rückgabeanspruch nach dem Vermögensgesetz ab. Die Gesetzeslage sehe einen Anspruch nur vor, wenn ein Vermögensentzug vor Kriegsende stattgefunden habe. Für Enteignungen aufgrund der sowjetischen Bodenreform zwischen 1945 und 1949 seien Ansprüche hingegen ausgeschlossen. Und eine schriftliche Beurkundung der Enteignung durch die Nationalsozialisten lag der Familie nicht vor. Es wird prozessiert, ein mühseliger Kampf der Familie gegen das Bundesfinanzministerium beginnt. 1999 kommt es vor dem Verwaltungsgericht Potsdam zum Vergleich. Die Familie verzichtet auf die Rückgabe. Im Gegenzug erhält sie eine finanzielle Entschädigung.

„Ich hatte auch mit dem Gedanken gespielt, das Gut zurückzukaufen. Erstaunlicherweise war es vor allem die havelländische CDU, die das zu verhindern versuchte“, erinnert sich von Ribbeck. Heute ist er dennoch zufrieden. Denn der Zustand des Gutes nach der Wende sei „grauenhaft“ gewesen. Rund sechs Millionen Euro hätte die Sanierung gekostet. „Zuviel“, betont von Ribbeck. Gemeinsam mit dem Landrat machte er sich für die Sanierung des Schlosses stark. Seit einem Jahr ist nun ein Traum Wirklichkeit geworden. Das Schloß erstrahlt in neuem Glanz, Friedrich von Ribbeck erlebt derzeit seine ganz persönliche Geschichte einer blühenden Landschaft in den neuen Bundesländern. Es ist seine Landschaft. Wenn auch nicht auf dem Papier, so doch in seinem Herzen. „Die Äste da müssen auch mal weggeräumt werden“, sagt er, während er über den Rasen des Schlosses schreitet. Er muß sie nicht wegräumen. Das Schloß gehört dem Landkreis. Er tut es trotzdem. Irgendwie ist es eben doch sein Gut. Und so spendet Segen noch immer die Hand, des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

Deutscher Birnengarten zu Ribbeck

Als Symbol für das wiedervereinigte Deutschland wurde am Schloß in Ribbeck ein Birnengarten angelegt: Seit 2009 ist jedes der 16 Bundesländer mit einem Baum vertreten. Sachsen stiftete einen Baum der alten Sorte „Gellerts Butterbirne“, der Bayern eine „Gute Luise“, Thüringen eine „Nordhäuser Winterforelle“. Aus Niedersachsen kommt die „Köstliche von Charneux“, Nordrhein-Westfalen stiftete die Sorte „Gute Graue“, Hessen ist mit „Amanlis Butterbirne“  vertreten.

Als letztes kamen eine „Pastorenbirne“ aus Bremen sowie die „Frühe von Trevoux“ aus Rheinland-Pfalz. Als erstes brachte – ganz symbolträchtig – der Birnbaum aus der einst getrennten Hauptstadt Berlin eine Frucht hervor.

Die Idee dazu stammt von dem Journalisten Werner Bader und vom Landrat des Havellandkreises, Burkhard Schröder.

Wie in Fontanes Gedicht vom freigiebigen Herrn von Ribbeck sollen auch die Birnen des Deutschen Birnengarten in erster Linie Kindern zugute kommen, indem die Ernte an Kindergärten und Schulen verteilt wird. www.havelland.de

Foto: Friedrich von Ribbeck auf dem Friedhof der Familie: „Ich hatte auch mit dem Gedanken gespielt, das Gut zurückzukaufen“

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