© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Entrechtet, betrogen, getäuscht
Enteignungs-Unrecht: Beim fortgesetzten staatlichen Flächenverkauf gehen bäuerliche Familienbetriebe und Alteigentümer leer aus
Klaus Peter Krause

Auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Agrarland in den östlichen Bundesländern ein großer Konfliktstoff. Bäuerliche Betriebe und „Alteigentümer“ werden mit ihren Erwerbswünschen massiv benachteiligt. Es geht dabei um Agrar- und Forstland, das sich rechtswidrig in Staatshand befindet. Eine wichtige Rolle spielt dabei die staatliche Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mbH (BVVG). Sie soll das Land verkaufen.

Bis 1945 hat dieses Land privaten Land- und Forstwirten gehört. Sie wurden während der sowjetischen Besatzungszeit als „Klassenfeinde“ politisch verfolgt, vertrieben, eingekerkert, deportiert, umgebracht – und entschädigungslos enteignet (JF 36/10). Einen Teil ihres Landes verteilte man während der „Bodenreform“ an vertriebene Bauern aus den deutschen Ostgebieten und an Landarbeiter; der große Rest wurde verstaatlicht und „volkseigen“ genannt.

Dann kam 1990. Aber der gesamtdeutsche Staat gab das Land nicht an die Eigentümerfamilien zurück, sondern verkauft es, um sich selbst daran zu bereichern – mittels der BVVG. Das wird „Privatisierung“ genannt, aber das, was die BVVG verkauft, ist das einstige kommunistische Raubgut. Daher ist diese „Privatisierung“ in Wahrheit Hehlerei.

Nach BVVG-Angaben standen Anfang 2010 noch rund 403.400 Hektar Pachtland zum Verkauf. Es sind Flächen der früheren Eigentümerfamilien („Alteigentümer“). Zudem waren noch 393.000 Hektar BVVG-Flächen verpachtet und zum Verkauf vorgesehen (zu den Kaufinteressenten siehe Kasten).

Die BVVG hatte 1992 von der damaligen Treuhandgesellschaft zunächst fast nur einstige LPG-Flächen zur Verfügung bekommen, die seit der Wiedervereinigung von LGP-Nachfolgegesellschaften bewirtschaftet werden. Damals wurden sie mit 1,2 Millionen Hektar angegeben. Die BVVG schätzte, daß davon rund ein Drittel den nach 1949 Enteigneten zusteht (dritte Gruppe), also etwa 400.000 Hektar. Der Rest von rund 800.000 Hektar dürfte im wesentlichen auf die „Bodenreformopfer/Alteigentümer“ (zweite Gruppe) entfallen.

Nach den jüngsten BVVG-Angaben sind es in beiden Fällen aber mehr (dritte Gruppe: 716.000 Hektar; zweite Gruppe: verkaufte 636.000 Hektar plus noch verpachtete 403.400 Hektar, zusammen also 1,039 Millionen). Während aber die dritte Gruppe ihr Land grundsätzlich zurückbekommt und auch schon bekommen hat, wird der zweiten Gruppe die Rückgabe verweigert – sie durfte es allenfalls begrenzt pachten und darf es allenfalls sehr begrenzt zurückkaufen.

Vermögensentzug in der sowjetischen Besatzungszeit

 Folglich ist es im wesentlichen nur das frühere Landeigentum dieser Alteigentümer, was die BVVG zum Verkauf stellen kann und zum großen Teil schon verkauft hat. Entsprechend ringen sie mit der BVVG und den Kaufinteressenten aller anderen fünf Gruppen darum, von dem restlichen Land, das eigentlich – wie das schon verkaufte – ihnen gehört und zusteht, wenigstens einen Teil abzubekommen. Dabei haben sie Anspruch auf eine Preisermäßigung von 35 Prozent – als dürftigen Teilausgleich für den verfolgungsbedingten entschädigungslosen Vermögensentzug in der sowjetischen Besatzungszeit. Aber zur Verfügung stehen dafür nur noch die verpachteten Flächen. Das waren zu Jahresbeginn 2010 die genannten 403.400 Hektar. Doch ist es nur wenigen Alteigentümern gelungen, frühere ihrer Flächen oder Ersatzland von der BVVG zurückzukaufen oder wenigstens zunächst zu pachten. Alteigentümer sind unerwünscht –  die frühere Verleumdung wirkt in vielen Köpfen fort.

Mit der BVVG um Land ringen aber auch die Wieder- und Neueinrichter. Sie sehen sich schwer benachteiligt. Ihr Verband, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), wirft der BVVG, dem Bund und den fünf Ostländern vor, die LPG-Nachfolger und einstigen DDR-Agrarkader (die erste Gruppe) sowie die sechste Gruppe massiv zu bevorzugen. Beide Gruppen haben politische Macht und wirken auf diese Weise wie ein Kartell.

Alle Betriebe haben für Flächen, die sie von der BVVG langfristig gepachtet haben, ein Vorkaufsrecht. Aber über 90 Prozent der Pachtflächen sind seit 1990 in der Hand derjenigen, die zu jenem Agrarkartell gehören. Es sind regelmäßig die sehr großen Betriebe.

2010 und 2011 laufen etliche Pachtverträge aus. Bäuerlichen Betrieben, die Käufe zu freien und daher hohen Marktpreisen (noch) nicht finanzieren können oder wollen, drohen betriebsnotwendige Agrarflächen verlorenzugehen. Erschwerend kommt hinzu: Wenn jeder der etwa 2.000 Großbetriebe sein Kaufrecht voll nutzt, wären das zusammen rund 500.000 Hektar. Allerdings hat die BVVG nur noch 403.400 Hektar für den Verkauf überhaupt zur Verfügung. Damit sehen sich die bäuerlichen Betriebe und die Alteigentümer mit ihren Ansprüchen leer ausgehen. Die große Mehrheit der kleineren und mittleren Landwirtschaftsbetriebe ist vom Kauf ausgeschlossen. Dabei sind die Betriebe des Agrarkartells ihrer Zahl nach die Minderheit. Die Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe im Osten sind die kleineren und mittleren Betriebe. Sie stellen rund 80 Prozent, in einigen Regionen sogar mehr als 90 Prozent. Aber diese Mehrheit wird von der Minderheit dominiert.

Letztlich geht es um die gewollte Agrarstruktur. Darüber vernimmt man öffentlich so gut wie nichts. Wahrzunehmen ist dagegen, daß es die landwirtschaftlichen Gruppen 1 und 6 – also die dort politisch Mächtigen mit ihren Großbetrieben als „Junker“ im neuen Gewand – verstanden haben und weiterhin verstehen, sich der meisten Flächen der verleumdeten einstigen „Junker“ zu bemächtigen. Die „roten Barone“ aus DDR-Zeiten haben noch immer das Sagen. Nötig jedoch wäre, sie politisch, beim Flächenerwerb und mit Subventionen nicht mehr zu bevorzugen, sondern die bäuerlichen Betriebe zu stärken und eine bäuerlich geprägte Agrarstruktur voranzubringen. Das wäre für den ländlichen Raum, seine (Wieder-)Belebung, für die Dörfer und die kleinen Städte in diesem Raum zukunftsträchtiger und gedeihlicher. Nur so kann der bisher angerichtete Schaden für die ostdeutschen Länder zu einem Nutzen werden.

Kontakt: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Telefon: 0 23 81 / 9 05 31 71 www.abl-ev.de

 

Kampf um das rechtmäßige Eigentum

Seit 1990 verkauft der Staat Land, statt es rechtmäßig an Alteigentümer zurückzugeben. Im Rahmen der als „Privatisierung“ verharmlosten staatlichen Hehlerei ringen im wesentlichen sechs Gruppen um aktuell 400.000 Hektar Forst- und Agrarland:

Als mächtigste die LPG-Nachfolge-Betriebe einstiger DDR-Agrarkader.

Einst größere Landwirte und Gutsherren („Bodenreformopfer“ oder „Alteigentümer“).

Landwirte, denen das Land erst nach der DDR-Gründung 1949 weggenommen wurde und die nun das alte Eigentum wieder bewirtschaften („Wiedereinrichter“).

Ex-LPG-Mitglieder, die ihr nicht enteignetes aber zwangskollektiviertes Land nach 1990 aus der LPG herausgenommen haben, dieses wieder eigenständig bewirtschaften, aber für einen lebensfähigen Betrieb mehr Land brauchen und daher Flächen durch Pacht oder Kauf hinzuerwerben müssen.

Ehemalige LPG-Mitglieder ohne eigenes Land, die nach dem Untergang der DDR einen eigenen Betrieb eingerichtet haben („Ansässige Neueinrichter“).

Andere Interessenten, oft westdeutsche Landwirte, die in der Ex-DDR einen größeren Betrieb als daheim gefunden haben, oder jene, die ihr Geld in einem umfänglichen Landsitz sicher anlegen wollen (ortsfremde „nichtansässige Neueinrichter“).

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