© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Angriff auf die Selbstbestimmung
Souveränitätsrechte: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und seine Folgen
Jürgen Liminski

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist dabei, viel geistiges Kapital zu zerschlagen. Sein erneutes Urteil gegen die Kirchen in Deutschland – es geht hier nicht nur um einen katholischen Organisten – greift in die wohlbegründete Autonomie dieser Institutionen ein und offenbart Züge, die schon im Kreuz-Urteil gegen Italien sichtbar wurden: absolut eurozentrisch, laizistisch, uniformistisch.

Das Gericht hatte am 23. September entschieden, daß die Kündigung eines katholischen Kirchenangestellten wegen Ehebruchs gegen die Menschenrechte verstößt. Der Chorleiter und Organist hatte sich von seiner Ehefrau getrennt und war eine neue Beziehung eingegangen. Die römisch-katholische Kirche sah darin einen Verstoß gegen ihre Grundordnung und kündigte ihm. Der Mann klagte dagegen, scheiterte aber letztlich vor dem Bundesarbeitsgericht. Seine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Richter in Straßburg kritisierten nun die deutsche Rechtssprechung: Die deutschen Richter hätten besser zwischen den Rechten beider Parteien abwägen müssen.

Jenseits des konkreten Falls hat die nivellierende Sicht des Gerichtshofs auf die Welt mit den Menschenrechten und der Vielfalt des Lebens in Europa nicht mehr viel zu tun. Sie ebnet neuen Einheitsideologien – etwa dem Islamismus – den Weg. Man wird von diesem Gerichtshof kein Urteil gegen islamistisches Verhalten (zum Beispiel in Sachen Religionsfreiheit in der Türkei) vernehmen. Wer wissen will, wie es in Europa aussähe, wenn die Türkei Mitglied der EU werden würde (im Europarat ist sie es und damit personell auch beteiligt am Gerichtshof), der denke diese Linie nur weiter. Oder der schaue sich den Bericht zur Gewissensfreiheit an, den der Europarat am 7. Oktober verabschieden will: Er geht an die Existenzgrundlage christlich orientierter Krankenhäuser und karitativer Institutionen. Es wird höchste Zeit, daß sich die vorgeblichen C-Parteien dieser schleichenden Wesensumwandlung Europas widmen. Wenn sie es überhaupt noch wollen.

 

Jürgen Liminski, Diplom-Politologe, ist Publizist und Radio-Moderator und war Ressortleiter für Außenpolitik beim „Rheinischen Merkur“ und der „Welt“.

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