© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Klare Sache und damit hopp
Familienchronik: Kempowskis „Tadellöser & Wolff“ im Altonaer Theater
Peter Müller

Wir spielen Bücher!“ heißt die Reihe des Altonaer Theaters in Hamburg, in deren Rahmen jetzt der 1971 erschienene Roman „Tadellöser & Wolff“ von Walter Kempowski erstmals für die Bühne adaptiert wurde. Die Uraufführung fand vergangenen Sonntag statt, Regie führt Axel Schneider.

Nach einer etwas überhasteten Anfangsphase findet der Regisseur das richtige Tempo für das gut zwei Stunden dauernde Stück. Insgesamt ist das Arrangement sehr nah am Buch, wobei notwendige Kürzungen nicht zu vermeiden waren. Der Wiedererkennungswert zum Roman ist jedoch erstaunlich hoch. Regisseur Schneider hat es verstanden, die Stimmung der verschiedenen Jahre, in denen das Buch spielt, auf der Bühne umzusetzen und läßt seine Akteure große Teile des Buches originalgetreu wiedergeben.

Die erste Hälfte des Stücks spielt in den Vorkriegsjahren und zeigt die relativ unbeschwerte Stimmung der Kinder Kempowski und die weitestgehend unpolitische Teilnahme der Eltern am Zeitgeschehen. Ohne übermäßige Nähe zum NS-Regime werden Veränderungen wahrgenommen und kommentiert („Der Hitler wird das schon machen, der ist ja schließlich nicht verrückt“). Insbesondere die Kinder Kempowski verleben eine freizügige und ungezwungene Jugend, die einerseits geprägt ist von amerikanischer Swingmusik, Tanztee und Langhaarfrisuren, andererseits jedoch auch immer wieder Berührungen mit dem aufkommenden System und seinen Organisationen hat. Im Stück wird dies wunderbar durch Georg Münzel umgesetzt, der sowohl den bohemehaften Freund Roberts aus dem Segelclub verkörpert, der übers Wochenende nach Berlin fährt, um zu sehen, was im „Delphi“ anläge − total zatzig −, als auch Eckhoff, den Führer der örtlichen Hitlerjugend − „a, e, i, o, u. So wird eine Meldung gemacht, Was, wer, wie, wo tut. Ist das klar?“

Diese Stimmung ändert sich zunächst auch durch den Ausbruch des Krieges nicht. Vater Kempowski, verkörpert durch Jens Weisser, der im Fernsehfilm von Eberhardt Fechner den „Robert“ spielte, ist gekränkt, daß er − obwohl Weltkriegsveteran, bei Ypern hatte er Gas abgekriegt − zunächst nicht eingezogen wird. Im Stück verdunkeln erst die Bombenangriffe auf Rostock die Stimmung. Wie im Buch werden auch im Stück zunächst Orte und Personen vorgestellt, die später den Bombenangriffen zum Opfer fallen. Die letzte Szene der ersten Hälfte ist bedrückend inszeniert und spielt im Luftschutzkeller des Hauses Kempowski.

In der zweiten Hälfte des Stücks gibt das Bühnenbild den Blick aus dem Fenster der Wohnung Kempowski frei auf einen durch Bomben zerstörten Straßenzug. Vater und Bruder sind an der Front, Schwester Ulla heiratet Herrn Sörensen. An der Hochzeitsfeier werden die Einschränkungen und Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, deutlich gezeigt. Der Vater kommt selten auf Heimaturlaub, und der mittlerweile halbstarke Walter ist mit seiner Mutter auf sich selbst gestellt und hadert mit der Pubertät. Konsequent dem Buch folgend, läßt Regisseur Schneider das Stück mit dem Einzug der Russen in Rostock enden − „wäre man doch besser nach Lübeck zu den Verwandten gegangen, denn da sind die Engländer“.

Perfekt herausgearbeitet hat Schneider die spleenige Art der gutbürgerlichen Familie, durch die sorgfältige Auswahl der Schauspieler und indem er die unverwechselbaren Sprachschöpfungen von Walter Kempowski („Gutmannsdörfer und Söhne“) auf die Bühne bringt.

Sowohl Kenner des Buchs als auch Kempowski-Novizen fühlen sich am heimischen Eßzimmertisch der Kempowskis zu Hause, wenn Vater Kempowski sympathisch vor sich hin schimpft: „Ihr seid wohl ziemlich iben, was? Total verbumfeit, klare Sache und damit hopp.“

Der allein aufgrund seiner Physis als Walter überzeugende Karsten Kramer führt wie im Buch als Erzähler durch die Jahre 1939 bis 1945 der Rostocker Reeder-Familie Kempowski und wechselt dabei ständig zwischen dem Spiel im Stück und der Erzählerrolle gegenüber dem Publikum.

Etwas blass neben dem gut aufgelegten Kramer wirkt Markus Mössmer, dem es nicht recht gelingen will, die schnoddrige Eitelkeit des leicht dandyhaften Robert überzeugend zu zeigen.

Herausragend aus dem insgesamt guten Ensemble, das sich selbst und das Stück nicht zu ernst nimmt, ist Hannelore Droege als Mutter Kempowski. Sie verkörpert in unnachahmlicher Weise die gute Seele der Familie. Durch das gesamte Stück hindurch brilliert sie durch ihre Präsenz, ihren hanseatischen Stil und die Sorge um ihre Familie, die man ihr nur zu gerne abnimmt. Selbst während der Bombenangriffe auf Rostock strahlt sie in der ihr eigenen, leicht naiven Art Optimismus aus und verliert dabei nicht ihre anmutige Ausstrahlung, „denn eigentlich geht’s uns ja Gold“.

Die nächsten Vorstellungen von „Tadellöser & Wolff“ im Altonaer Theater, Museumstr. 17, in Hamburg finden bis zum 7. November fast täglich statt. Kartentelefon: 040 / 39 90 58 70  www.altonaertheater.de

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