© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Komplizierte Wahrheit
Fernsehen: Doku-Drama zum Sturm auf die Stasi
Christian Dorn

Zu den historischen Daten, die das Ende der DDR-Diktatur markieren, gehört der 15. Januar 1990. An diesem Tag, so erzählen es die Geschichtsbücher, wurde die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg gestürmt. Was aber passierte tatsächlich? War es wirklich das Ergebnis einer spontanen Revolte durch das aufgebrachte Volk oder doch nur ein symbolischer Akt?

Wie kompliziert die historische Wahrheit ist, demonstriert das 75minütige Dokudrama „Sturm auf die Stasi – Untergang eines Geheimdienstes“. Autor Matthias Unterberg versucht, die Chronologie des damaligen Tages minutiös nachzuzeichnen. Die Stärke und zugleich die Schwäche seines Ansatzes ist es, sich ausschließlich auf Zeitzeugen zu beziehen: Zum einen, weil er das Prinzip – durch ein Interview mit dem ehemaligen BND-Chef Hans Georg Wieck – selbst mißachtet, und zum anderen, weil am Ende die Ausführungen der MfS-Offiziere unkommentiert historische Deutungshoheit reklamieren.

Kritikwürdig scheint auch das bis zum Abwinken bekannte Format „Dokudrama“, das in diesem Fall Szenen von der Demonstration und von der Erstürmung der Stasi-Zentrale nachstellt und zumeist ohne Kommentar mit den Originalaufnahmen vermengt. Die auf Spielfilmlänge angelegte Produktion demonstriert damit einmal mehr den sorglosen Umgang mit Gebührengeldern. Denn die Geschichte des Films hätte auch gut in der Hälfte der Zeit erzählt werden können, einschließlich der Erkenntnis, derzufolge die Stasi die bevorstehende Erstürmung ihrer Bastion bewußt gesteuert hatte, so daß sie am Abend des 15. Januar 1990 über weite Strecken als Regisseur ihrer eigenen Niederlage agierte. Zitat Werner Großmann, letzter Chef der HVA: „Uns ist etliches gelungen.“

Der Film „Sturm auf die Stasi – Untergang eines Geheimdienstes“ läuft am 1. Oktober um 21.45 Uhr in der ARD.  www.ndr.de

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