© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Eine fanatische Reisegruppe
Terrorismus: Die Spuren der aktuellen amerikanischen und britischen Anschlagswarnungen führen nach Hamburg
Sverre Schacht

Die amerikanische und die britische Regierung raten ihren Bürgern in Europa zu besonderer Vorsicht. Einzelne Länder bleiben ungenannt, doch die Botschaft ist deutlich: Vor „potentiellen Terroranschlägen“ aus der islamistischen Szene wird gewarnt. 

Grund der gestiegenen Wachsamkeit ist die Aussage eines in Afghanistan von amerikanischen Ermittlern verhörten Mannes mit deutschem Paß: Achmad S. (36). Was er genau sagt, bleibt geheim. Doch laut britischen Medien hatten die Todeskommandos schon ihre Befehle. Viele der potentiellen Täter verfügen offenbar über einen deutschen Paß, und ihre Ziele liegen in Deutschland. Während hiesige Sicherheitsbehörden von keiner konkreten Gefahr ausgehen, sickern immer mehr Erkenntnisse über die Gruppe durch. Anfang 2009 reiste der afghanischstämmige Achmad mit einer elfköpfigen Reisegruppe aus dem Umkreis der Taiba-Moschee gen Hindukusch. Ziel der Gruppe: Ein Terrorlager   im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan. Nur Wochen nach Schließung der als Islamistensammelpunkt berüchtigten Hamburger Moschee (JF 34/10) zeigt sich erneut das Gefahrenpotential des Zirkels. Schon die Terroristen des 11. September 2001 organisierten sich im Umfeld des Bethauses.

Immer mehr Konvertiten gehören dem Netz an

Das wurde zwar im August aufgrund der Erkenntnisse über die Reisegruppe geschlossen, doch das Terrornetzwerk ist bestens vernetzt. Ihm gehören vermeintlich integrierte Akademikerinnen genauso an wie fanatische junge Männer und immer öfter auch deutsche Konvertiten. Insgesamt 40 Menschen sind seit Anfang 2009 aus Deutschland zum Terrortraining abgereist. Deren europaweite Vernetzung – die Fäden führen nach Hamburg – bereiten Sicherheitsexperten ernste Sorge. Als Ziel in Afghanistan dient den Extremisten die „Islamische Bewegung Usbekistans“, verantwortlich für Terrorlager und Drohvideos.

Auch Achmad S. wollte sich dort dem bewaffneten Kampf anschließen und nahm seine aus Indonesien stammende Ehefrau und seinen Bruder Sulayman mit. Der ist Fahndern bekannt, denn er hatte in der Taiba-Moschee, damals noch Al-Quds-Moschee, direkten Umgang mit den Terroristen des 11. September. In Afghanistan angekommen, will Achmad beim Kampf gegen die amerikanischen Truppen Said Bahaji getroffen haben, einen Unterstützer der Terrorzelle von 2001 und wie die Attentäter Student an der Technischen Universität Harburg sowie regelmäßiger Taiba-Besucher. Aus pakistanischen Geheimdienstkreisen wurde bekannt, daß Ahmad jetzt von neuen Anschlägen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland sprach. Acht Personen mit deutschen und zwei mit britischen Pässen seien involviert.

Als Anführer der Hamburger Gruppe gilt Rami M., der im Juni an der pakistanisch-afghanischen Grenze in Frauenkleidern gefaßt wurde. Er gab an, aussteigen zu wollen. Naamen M. gehört als Schwiegersohn des berüchtigten Taiba-Predigers Mohammed al-Fasasi hingegen zum fanatischen Kern der Truppe. Fasasi sitzt in marokkanischer Haft. Ihm werden die Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Casablanca 2003 zur Last gelegt. Vor kurzem schrieb er seiner in Hamburg lebenden Tochter und schwor der Gewalt ab – ein Zeichen, nicht nur für die Tochter, sondern auch ein Rettungsanker für Naamen.

Reisegruppenidol Shahab S. (Jahrgang 1983) überzeugte gar seine 23jährige Frau, eine studierte Zahnmedizinerin, von der Hansestadt aus gen Afghanistan aufzubrechen. Der gebürtige Iraner taucht in einem IBU-Video mit Schwert und Schnellfeuergewehr auf. Die zwei „weißen Konvertiten“, der Deutsch-Tschetschene Alexander J. (30) und der Deutsch-Kasache Michael W. (25), leben dagegen nach Abschiebung aus dem „Terroristenparadies“ wieder in Hamburg. Dort stehen inzwischen gut ein Drittel der und 80 Moscheen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Anfang der Woche nun wurden die deutschen Behörden von der Nachricht überrascht, daß bei einem Angriff einer amerikanischen Drohne in Pakistan mehrere deutschen Islamisten ums Leben gekommen seien. Ob darunter auch Mitglieder aus der Reisegruppe waren, blieb zunächst unklar.

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