© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Grüße aus Rom
Die Ruhe der Römer
Paola Bernardi

Oberflächlich scheint das politische Klima im Lande extrem aufgeheizt. Die Opposition veranstaltet ihren „No-B-Day“ in Rom. Demonstranten mit rüden Sprüchen und Berlusconi-Masken durchziehen die Straßen. Plakate an Hauswänden beschwören das Ende der Regierung. Das Land erlebt zum Herbstbeginn wieder einmal eine politische Krise. Niemand weiß, wie es enden wird. Seit Wochen läuft der Showdown in der rechten Regierung zwischen dem Ministerpräsidenten Berlusconi und seinem Widersacher Fini, dem Parlamentspräsidenten. Der zwischenzeitlich ausgerufene Burgfrieden ist längst zerbrochen. Es könnte sogar zu Neuwahlen kommen.Nur wozu? Doch auch die linke Opposition ist heillos zerstritten.

Und die Römer? Mit der sprichwörtlichen Gleichgültigkeit, die schon vom Schriftsteller Alberto Moravia als römische Eigenschaft beschrieben wurde, lassen sie diese Politskandale über sich ergehen: Ein Volk, das es gewohnt ist, immer mit dem Provisorium zu leben. Rom scheint unverändert: Lärm, Verkehrschaos, nur im Schneckentempo quält sich die Blechlawine der Autos und Autobusse durch die Straßen, und Abgase erfüllen die Luft.

Die ganze Innenstadt scheint nur noch aus „Bed & Breakfast“ zu bestehen

Die Stadt quillt in diesen Wochen über von Touristen. Die Fremden aus aller Welt bevölkern die römischen Straßen. Während die Römer die sonnigen Oktobertage, die berühmten „ottobrate“   mit 26 Grad im eleganten Herbst-jacket genießen, durchstreifen die Fremden mit hochrotem Gesicht, Shorts, Netzhemd und Sandalen die Stadt, baden ungeniert ihre Füße im Bernini-Brunnen sehr zum Mißfallen der Carabinieri. Die gesamte römische Innenstadt scheint nur noch aus „Bed & Breakfast“ zu bestehen. An fast jedem Palazzo sieht man die Schilder. Immer wieder werden Kontrollen von der Stadtverwaltung durchgeführt, Anzeigen erstattet, doch niemand scheint es ernsthaft zu kümmern. Denn in Zeiten der finanziellen Bedrängnis versucht man, möglichst viel Schwarzgeld am Fiskus vorbeizuschummeln.

Auch die Händler aus dem Senegal, Bangladesch oder China bevölkern die Brücken und Plätze der Ewigen Stadt. „Gucci“ lautet das Zauberwort, das sie den Fremden im Vorbeigehen zuraunen. Ausgebreitet auf Laken bieten sie ihre Ware feil: die Herbst-und Winterkollektion von Taschen, Geldbörsen und Gürtel von Gucci und Prada. Der Corso, die Piazza Navona und die Engelsbrücke sind die Hauptumschlagsplätze für die Markenpiraten im Handel mit gefälschten Luxusartikeln. Das Geschäft ist gefährlich geworden, denn die Finanzpolizei, die ständig Kontrollen durchführt, kennt kein Erbarmen: weder mit den Händlern noch mit den Käufern. Doch solange die Produktion in Untergrundfabriken in und um Neapel durch die Camorra organisiert ist, wird der Warenstrom auch nicht abreißen.

Doch nicht nur die Touristen bevölkern die Innenstadt von Rom, sondern auch die Bettler. Vom Straßenmusikanten über Bettler, die ihre echte oder gekünstelte Misere vor den Kirchen und auf den Trottoirs zur Schau stellen, bis hin zu anklagenden Müttern mit Babies und uralten Frauen, die flehend ihre Hände erheben. Alles erinnert an ein mittelalterliches Stadtbild. Eine wahre Bettler-Invasion überfällt jeden Morgen die Stadt. Da die Rumänen durch Diebstähle und Gewaltverbrechen in Verruf geraten sind, liest man auf dem Schild eines Bettlers an der Via della Croce die Aufschrift: „Bin aus Bulgarien“, um sich von ihnen abzuheben. Doch seine Einkünfte bleiben mager. Die meisten Passanten gehen achtlos vorüber.

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