© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Brüsseler Milliarden-Karussell
EU-Finanzen: Deutschland bleibt einer der größten Nettozahler / Geberländer künftig stärker zur Kasse gebeten?
Hans Christians

Deutschland bleibt einer der größten Nettozahler der EU. Im vergangenen Jahr überwies Berlin insgesamt 8,1 Milliarden Euro mehr als im Gegenzug aus den Fördertöpfen der EU zurückflossen. Inklusive der für die EU erhobenen Zölle und anderen Abgaben lag der deutsche Bruttobeitrag zum Brüsseler Budget bei 21 Milliarden Euro. Aus dem vorige Woche von der Kommission vorgelegten Finanzbericht für 2009 geht hervor, daß 97 Prozent aller zugewiesenen Mittel ausgegeben wurden, was in etwa dem Anteil von 2008 entspricht. Insgesamt beliefen sich die EU-Ausgaben auf über 112 Milliarden Euro.

Polen profitierte von den EU-Milliarden am meisten

Der Großteil dieser Mittel wurde wie in den vergangenen Jahren für Strukturhilfen und die Landwirtschaft aufgewendet. „Über 30 Prozent des Haushalts 2009 wurden für die Erholung und das Wachstum der Wirtschaft ausgegeben, stellte hingegen der für den Haushalt zuständige EU-Kommissar Janusz Lewandowski heraus. „Jeder Euro, den wir in unsere Regionen investieren, kann durch seine Hebelwirkung das Doppelte oder Dreifache generieren. Hier machen die EU-Mittel vor Ort tatsächlich den Unterschied aus.“

Mehr als 44 Milliarden Euro flossen in die „Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit“. 40 Milliarden Euro gingen als Direkthilfen an die Landwirte. Die Bauern erhielten damit die Hälfte ihres Einkommens aus Brüssel. Die Mittel für die Kohäsionspolitik, mit der vor allem ärmere Regionen im Osten und Süden der EU gefördert werden, verdoppelten sich gegenüber 2008 auf 25,5 Milliarden Euro – die EU-Erweiterungen 2004 und 2007 fordern ihren Tribut.

Unter dem Strich hat Deutschland im vergangenen Jahr ausnahmsweise weniger für die EU bezahlt als zuvor. Der faktische Nettobeitrag sank wegen Einmaleffekten auf 6,4 Milliarden Euro nach 8,8 Milliarden Euro im Vorjahr. Pro Kopf der Bevölkerung waren das 78 Euro. Die Einmaleffekte beruhen auf Änderungen bei den Anteilen der Mehrwertsteuer, die aus den Mitgliedstaaten an Brüssel abführt. Die Nettobelastung Deutschlands sank damit einmalig auf 0,26 Prozent der Wirtschaftsleistung. Stärker belastet sind 2009 EU-Länder wie Frankreich mit 0,30 Prozent, Italien mit 0,34 Prozent oder Belgien mit 0,49 Prozent.

Auf der Nehmerseite steht mittlerweile Polen ganz oben – und löste damit Griechenland ab. Warschau profitierte insgesamt mit 6,4 Milliarden Euro von der EU nach 4,4 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Griechenland  mit einem Drittel der polnischen Bevölkerungszahl – kommt immerhin noch auf rund drei Milliarden Euro. Der traditionell größte Nettozahler, die Niederlande, weist 2009 wie Dänemark eine Belastung von 0,36 Prozent auf. Wieder leicht gestiegen ist die Nettobelastung Großbritanniens. Nachdem diese 2008 von 4,7 Milliarden Euro auf nur noch knapp eine Milliarde Euro gesunken war, lag sie 2009 wieder bei 1,4 Milliarden Euro. Darin spiegelt sich die Wirtschaftsentwicklung des von der Finanzkrise gebeutelten Landes wider. Der von Maggie Thatcher durchgesetzte „Briten-Rabatt“ auf die EU-Beitragszahlungen sank leicht auf unter sechs Milliarden Euro.

Einschnitte und Änderungen notwendig

Lewandowski machte sich für ein Ende der Sonderregelung stark: „Der Rabatt für Großbritannien hat seine ursprüngliche Berechtigung verloren.“ Die Ausnahme für Großbritannien gegenüber den übrigen EU-Mitgliedern besteht seit 1984. Zwar wird das Volumen der Vergünstigung von sechs Milliarden Euro im Jahr 2009 auf rund drei Milliarden im nächsten Jahr sinken. Darüber hinaus jedoch, so Lewandowski, entfalle für den Sonderstatus die Begründung, die Struktur des Gemeinschaftsbudgets habe sich deutlich geändert: „Und das Pro-Kopf-Einkommen Großbritanniens hat sich seit den achtziger Jahren deutlich erhöht.“ Der Haushaltskommissar sieht auch weitere Einschnitte und Änderungen als dringend notwendig an. Vor allem auch bei den Agrarausgaben bestehe Reformbedarf.

„Für mich ist klar, daß der Anteil der Hilfen für Agrarpolitik im Haushalt 2020 niedriger sein muß als heute, um mehr Mittel für Forschung, Entwicklung und globale Ambitionen frei zu haben“, so Lewandowski im Handelsblatt. Die finanzielle Lage in einigen Mitgliedstaaten bereitet den EU-Politikern weiterhin Sorgen. Vor allem, weil einige Geberländer befürchten, sie würden künftig noch stärker zur Kasse gebeten (JF 40/10). Das von einer schwierigen Finanzlage gebeutelte Portugal sollte nach Ansicht von EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso rasch seinen Haushalt für das kommende Jahr vorlegen. Das Budget müsse „solide und glaubwürdig“ sein und die europäischen Sparvorgaben einhalten, forderte der Portugiese. „Die Lage ist ernst.“

Die angeregte Erschließung neuer Finanzquellen, wie beispielsweise einer EU-Steuer wird von deutschen Parlamentariern allerdings kritisch gesehen. „Die erneute Diskussion über eigene Finanzquellen für die EU ist überflüssig und lenkt von den tatsächlichen Herausforderungen Europas ab. Durch die Steuer beziehungsweise die Ausgabe von EU-Anleihen würde die Axt an die bewährte Beitragsfinanzierung der EU gelegt und der Union der Weg in die Verschuldung geöffnet“, warnte der CSU-Europa-Experte Thomas Silberhorn. Ob die Bundesregierung im Ernstfall wirklich eine EU-Steuer verhindern kann und will, ist angesichts der im Mai widerstandslos durchgewunkenen Euro-Rettungspakete aber zu bezweifeln.

Jahresfinanzbericht 2009 der EU: http://ec.europa.eu/budget/

Foto: Baustelle Europa: Deutschland überwies vergangenes Jahr 21 Milliarden Euro nach Brüssel, insgesamt gab die EU über 112 Milliarden Euro aus

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