© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Zurück in die Achtziger
Eine Art Nummern-Revue: „Der Turm“ im Staatsschauspiel Dresden
Sebastian Hennig

Die Auswertung von Uwe Tellkamps Erfolgsroman „Der Turm“ auf dem Theater bescherte dem Dresdner Publikum einen Achtziger-Jahre-Revival-Abend. Die Bühnenfassung von Jens Groß und Armin Petras wurde nämlich durch Wolfgang Engel, eine Zentralgestalt des damaligen Kulturlebens der Elbestadt, in Szene gesetzt. Und in der Doppelrolle des Eduard Eschschloraque und Manfred Weniger stand mit Lars Jung ein Akteur auf der Bühne, der gleich nach dem Studium zum Dresdner Ensemble kam, dem er bis heute angehört. Er war ebenso an der verspäteten DDR-Uraufführung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ wie an vielen anderen von Engels berühmten Dresdner Inszenierungen zwischen 1980 und 1991 zu sehen. Alles steuerte damals hin auf den Herbst 1989, als die Dresdner Schauspieler im Großen Haus den Theaterbesuchern verkündeten: „Wir treten aus unseren Rollen heraus“, und die Schaubühne nutzten, um als echte Volksvertreter staatsbürgerliche Rechte zu reklamieren.

Inzwischen haben Publikum und Akteure wieder zu dem müden Stellvertreterspiel eines schwerblütigen Erörterungstheaters zurückgefunden. Dessen Autorenkreis wurde erweitert um eine neue Generation im alten Geiste, wie Ingo Schulze, dessen Roman „Adam und Evelyn“ während der letzten Spielzeit in Dresden als Bühnenfassung gegeben wurde, und eben Uwe Tellkamp.

In Wolfgang Engels früher Dresdner Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen-Dramen hat sich seinerzeit schon, kraft der Höhe ihrer künstlerischen Verallgemeinerung, gültiger das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft widergespiegelt, als in den zähen Parabel-Stücken von Heiner Müller, Volker Braun und Christoph Hein. Alle Handlungen ereigneten sich in der Tristesse eines Luftschutzraumes, vor dessen kleinem Ausgußbecken Siegfried schließlich kniend die tödliche Wunde empfing.

Ähnlich puristisch ist auch das aktuelle Bühnenbild. Eine schmucklose hohe Wand trägt wie eine Plattenbaufassade auf drei Etagen jeweils drei Balkone, zwischen und hinter denen Leitern in die Tiefe führen. Außer den Tribünen und dem engen Proszenium gibt es keine Ausdehnung irgendeiner Bühnenperspektive.

Der Chor der Darsteller postiert sich zu Beginn vor dem eisernen Vorhang. Alle setzen sich jene auffällige Mütze mit dem Zebrafell-Schweißband aufs Haupt, bevor sie mit einer Stimme den Romantext rezitieren. Durch die Vervielfältigung erinnert das anspruchsvolle Zubehör an die Uniformenstücke alternativer Zirkel der DDR, in denen das Zeigen bestimmter Zeichen die Zugehörigkeit auswies. Beim Aufstieg in das Bühnengerüst werden die Mützen dann diskret fallen gelassen.

Vierundzwanzig Rollen sind auf siebzehn Darsteller verteilt. Durch die Doppelrollen bekommt die zerklüftete Handlung etwas mehr Zusammenhalt. Auf spektakuläre Symbolik wird verzichtet. Es finden keine Umbauten, Bewegungen der Bühnenmaschinerie oder Filmprojektionen statt. Lediglich ein Diskjockey verbindet und trennt die Szenen durch sich überlagernde Song-Partikel und Geräusche. Diese Überleitungen lassen noch einmal deutlich werden, daß es sich hier um eine Art Nummern-Revue nach Motiven eines Romans handelt.

Die reichlich drei Stunden verlaufen trotz des guten Spiels der Darsteller sehr zähe, um so mehr, wenn man viele der abgeschilderten Umstände aus eigenem Erleben und Erzählungen bereits kennt. Es sind manche fast unbearbeiteten Anekdoten darunter. Die Inszenierungen im Kopf des Romanlesers sind kurzweiliger als die ins Dramatische gezwungene Erzählung. Besonders die Gestaltung der Erlebnisse des Militärdienstes in der zweiten Hälfte des Stückes bewegt sich auf dem renommistischen Niveau von Kneipengesprächen.

Wenig Erfreuliches ist an der vorgeführten Gesellschaftsschicht zu bemerken, die sich ja weitgehend mit den Akteuren des sozialistischen Status quo nicht nur arrangierte, sondern auch personell überschnitt. Meno Rohde, dargestellt von Benjamin Höppner, ist die Wunschfigur des „Anarchen“ mit Anklängen an Ernst Jüngers Vigo im Roman „Eumeswil“ ohne dessen eschatologisches Format. Letztlich ist er ebenso erbärmlich, wie die ehrgeizige Literatin mit dem vielsagenden Namen Judith Schevola.

In seinem kleinen Exkurs zu der Frage „Woher kommt und wohin strebt das Dresdner Bildungsbürgertum?“ im Programmheft stellt Jens Groß fest: „Das Gefühl der intellektuellen Überlegenheit, gepaart mit dem Gefühl der totalen Ohnmacht und der daraus resultierenden Passivität gegenüber herrschenden Systemen, macht diesen Roman so durch und durch aktuell und trifft offenbar den heutigen Leser mitten ins Herz.“

Der respektvolle Applaus des Premierenpublikums ist eine Dresdner Gepflogenheit. Den Bekundungen kam hier noch nie die Bedeutung eines ästhetischen Richtspruches zu. Der Beifall gilt dem Theater an sich als unentbehrlich empfundener Stätte der geistigen Reflexion und seelischen Erholung. Da ist man auch nachsichtig gegenüber solchen Annäherungen der alten deutschen Stadttheater-Tradition an den erfolgssüchtigen Boulevard-Betrieb der anglophonen Sphäre.

Die nächsten Vorstellungen finden statt am 13., 27. und 31. Oktober sowie am 16. November im Staatsschauspiel Dresden, Theaterstraße 2. Kartentelefon: 03 51 / 49 13 – 555 www.staatsschauspiel-dresden.de

Foto: Bühnenbild „Der Turm“: Eine schmucklose hohe Wand wie eine Plattenbaufassade

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