© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Haus am See
Die Generation „Biedermeier“ sehnt sich nach Normalität, Familie und Kindern
Ellen Kositza

Daß „Jugend“ immer die „Jugend von heute“ ist und sich in ihrem Selbstverständnis laufend aktualisiert, führen uns regelmäßig sogenannte „Jugendstudien“ vor. Nun berichten wieder zwei großangelegte Analysen vom Zustand der Jugend 2010. Bereits der Begriff an sich ist ein dehnbarer. Wo dreißigjährige Frauen von sich noch als „Mädchen“ sprechen, ist es nur folgerichtig, daß die Sozialwissenschaftler der Shell-Jugendstudie unter „Jugendlichen“ 12- bis 25jährige verstehen und die Psychologen der Rheingold-Studie den überkommenen Zeitraum der Adoleszenz gleich aussparen und sich mit nominell Erwachsenen des Alters zwischen 18 und 24 befassen.

Die Rheingold-Leute haben 100 junge Leute in westdeutschen Großstädten (plus Berlin) interviewt. Rheingold neigt zu plakativen Zuspitzungen, darum erhielt diese Generation nach den vorausgegangenen „Cool“- und „Kuschel“-Generationen das Etikett „Biedermeier“. Die Rede ist von einer starken Familienbindung, einem Loblied auf die Mütter bei gleichzeitiger Kritik an den Vätern. Selbst praktiziere man Liebesbeziehungen mit „eheähnlicher Struktur“. Ordnung, Anpassung und Disziplin gelten den Befragten als wichtige Leitwerte – die populäre Sendung „Germany’s next Topmodel“ verdeutliche, wie erfolgreich man mit diesen Tugenden sein könne.

Nannte Heinrich Heine die Jugend noch uneigennützig, tendieren die jungen Leute gegenüber gesellschaftlichen „Verlierern“ heute eher zu Verachtung denn zu Mitleid. Das nun schon einige Sommer lang vielgedudelte Popidyll „Haus am See“ von Peter Fox stünde sinnbildlich als Hymne dieser Generation: Ein kleines Häuschen im Grünen, dazu einen festen „Partner“, ein oder zwei Kinder – der Kinderwunsch hat bei beiden Geschlechtern deutlich zugenommen – und eventuell einen Hund: Weder kühn und kritisch noch faul oder fatalistisch, sondern angepaßt und artig, so präsentiert sich die junge Bevölkerung unter der Ägide Angela Merkels.

Die 16. Shell-Jugendstudie, von Bielefelder Sozialwissenschaftlern um Klaus Hurrelmann angeleitet, widerspricht diesem Bild nicht. 2.500 junge Leute füllten hierzu Fragebögen aus, ergänzt um 20 Tiefeninterviews. Die Mehrheit der Befragten gibt sich zufrieden und blickt optimistisch in die Zukunft – paradoxerweise war das bei der letzten Shell-Studie (2002) vor der Wirtschaftskrise noch anders.

In Mitteldeutschland spielt die Religion keine Rolle

Das Interesse an Politik ist leicht angestiegen, vor allem unter jüngeren Studienteilnehmern, erreicht aber nicht annähernd die Werte aus den siebziger und achtziger Jahren. Es scheint, als habe es die Elterngeneration zur allgemeinen Zufriedenheit gerichtet: Drei Viertel der Befragten wollen eigene Kinder so erziehen, wie es die eigenen Eltern handhabten. Für muslimische Jugendliche ist der religiöse Glaube im Vergleich zu vorherigen Studien wichtiger geworden, für 44 Prozent der Katholiken spielt er eine gewisse Rolle, in den neuen Bundesländern ist Religion kein Faktor.

Dem demoskopischen Laien bleiben einige Zweifel an diesem unterm Strich satten Befund. Wenn 74 Prozent der Befragten ihr Leben „in vollen Zügen genießen“ wollen, was wünschen sich die restlichen 26 Prozent? Maßvolles Leid? Kann man „klimaskeptisch“ und zugleich bereit sein, sich zugunsten des Klimas einzuschränken? Sinkt die Zufriedenheit tatsächlich bei den sozial Schwachen, während die „fremdenfeindliche Gewalt“ zunimmt? Das empirische Fundament dieser Thesen fehlt.  www.shell.de  

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