© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Frisch gepresst

Lehndorffs. Am 4. September 1944 wurde Heinrich Graf Lehndorff, Herr auf Schloß Steinort am Mauersee in Ostpreußen, wegen seiner Beteiligung am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt. Zwei Stunden nach Urteilsverkündung fand dieser „Typ des preußischen Junkers“, wie ihn ein Prozeßbericht charakterisiert, den Tod am Galgen von Plötzensee. Unmitelbar darauf verbrannte man die Leiche und verstreute die Asche auf den Rieselfeldern vor Berlin. Von „Heini“ Lehndorff ist danach, nimmt man gelegentliche Erwähnungen in den Erinnerungsberichten Marion Gräfin Dönhoffs aus, in der seit 1970 anschwellenden Literatur über die Opposition gegen das NS-Regime kaum mehr die Rede gewesen. Der Grünen-Politikerin und ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, promoviert mit einer theologiehistorischen Arbeit, kommt daher das Verdienst zu, mit ihrer extraordinär schön gestalteten, die erstaunlich informativen Familiennachlässe ausschöpfenden, auch aus staatlichen Archiven jedes Mosaiksteinchen zusammentragenden Lehndorff-Biographie diese Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft zu haben. Vollmer beläßt es indes nicht dabei, den engeren Kontext der Beteiligung am 20. Juli zu rekonstruieren, sondern schreibt mit der Doppelbiographie von Heinrich und Gottliebe Lehndorff einen wertvollen Beitrag zur ostpreußischen Landes- und Kulturgeschichte. Daß Vollmer die Geduld ihrer Leser zugleich mit endlosen Referaten und Zitaten aus Standardwerken zum „20. Juli“ auf eine harte Probe stellt, darf als Schatten des Ausflugs einer Berufspolitikerin in die Zeitgeschichte nicht unerwähnt bleiben.

Antje Vollmer: Doppelleben. Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und Ribbentrop. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2010, gebunden, 415 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

 

George-Kreis. Der Lyriker Stefan George und sein „Kreis“ werden seit Mitte der neunziger Jahre  fast inflationär porträtiert, wobei die Qualität oft in keinem Verhältnis zur Quantität steht. Die Aufsatzsammlung „Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat“, die im Untertitel sogar noch an EU-Propaganda andockt („Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland“), erfüllt jedoch etwaige Befürchtungen kaum, überblätterte man die beiden Beiträge Peter Trawnys, des glücklosen Heidegger-Editors, oder auch den Aufsatz zu Edith Landmann, der Ulrich Raulffs Porträtskizze von 2009 nur unwesentlich ergänzt. Oder die knarzende Deutung Christophe Frickers zu Georges „Geheimem Deutschland“. Die Frage, ob dies Gedicht ein politisches Programm sei, findet vielleicht eine überzeugendere Antwort in seiner für 2011 avisierten George-Monographie. Ansonsten darf der Leser aber für den reichen Ertrag des Bandes dankbar sein. Dafür sei hier nur exemplarisch verwiesen auf die Interpretationen des Philosophen Harald Seuberts, des jüngst verstorbenen Manfred Riedel (JF 46/09) und vor allem auf Wolfgang Graf Vitzthums Erinnerungen an Walter Elze, von dem das beste Werk über die 1914 geschlagene Schlacht von Tannenberg gegen die russische Übermacht stammt und der im Berlin der 1930er Jahre eine Schar junger Kriegshistoriker heranzog, unter denen der Danziger Werner Hahlweg, der Clausewitz-Exeget, der berühmteste gewesen ist.

Bruno Pieger, Bertram Schefold (Hrsg.): Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010, gebunden, 504 Seiten, 34,90 Euro

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