© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Alles riskant, alles bedenklich!
Der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ätzt auf frische Art gegen seinesgleichen
Bernd-Thomas Ramb

Um in Peer Steinbrückscher Manier zu beginnen: Die guten Nachrichten zuerst. Das Buch „Unterm Strich“ ist unterhaltsam geschrieben. Der schnoddrige, locker-flockige Ton, den Steinbrück in seinem – um es ebenso scherzhaft zu interpretieren – „Enthüllungsbuch“ anschlägt, wird konsequent durchgehalten, von der Tiefe („Mein Lieblingssatz politisch nichtssagenden Inhalts lautet: Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis“) bis zur Höhe („Dabei stelle ich nach eigenen Erfahrungen mit exzellenten Insolvenzverwaltern nicht in Frage, daß auch nach mancher ‘geordneter’ Pleite ein Phönix aus der Asche steigen kann“).

Hinter der Flapsigkeit verbirgt Steinbrück jedoch auch eine empfindsame Seele. Seine Probleme mit dem aufschießenden Politstar zu Guttenberg oder seine Ängste, eigene Verdienste im Schatten der Bundeskanzlerin verschwinden zu sehen, werden vorsichtig, aber oft angedeutet. So verliert die vorgeblich entkrampfe Schreibe nicht nur nach einer Weile ihren Reiz, sie schlägt auch zunehmend in den Eindruck einer gewissen Wehleidigkeit des Autors um. Die Dünnhäutigkeit Steinbrücks erweist sich zumal in den Klagen über seine eigenen Parteigenossen. Sein Lamento über linientreue Parteikarrieristen, die „Parteiweisheiten bis zur Leugnung des gesunden Menschenverstands aufsagen und abweichende Meinungen mit einem Bannstrahl bestrafen“, offenbart eine Verbitterung über die in wirklichkeitsfremden Parallel-Welten lebenden SPD-Genossen, die „von neuen Erkenntnissen und Erfahrungen nicht die Bohne angekränkelt“ sind.

Der zunehmende Attraktivitätsverlust durch sattsam eingesetzte Wortwitze wird durch die steigende Redundanz der inhaltlichen Ausführungen verstärkt. Im Grunde hat Steinbrück seinen Strich schon nach den ersten 168 Seiten des fast dreimal so umfangreichen Werkes gezogen. In dem bis dahin letzten Abschnitt „Der unbekümmerte Michel: Deutschland“ resümiert Steinbrück exemplarisch: „Unterm Strich bleibt, daß der deutsche Landesbankensektor erheblichen Risiken unterliegt.“ Statt des Landesbankensektors könnte jeder andere Bereich eingesetzt werden, den Steinbrück bis dahin behandelt hat, von den Kommunen über Europa bis zur Weltordnung, vom Geldmarkt über die Güterproduktion bis zum Arbeitsmarkt und den Transferzahlungen. Steinbrück läßt fast nichts aus und kommt stets zum Ergebnis: Alles riskant, alles bedenklich!

Der Abschnitt „Im Kessel der Finanzmarktkrise“ ist zudem gerade das, was Steinbrück eigentlich nicht abliefern wollte, ein Erinnerungsbuch mit autobiographischen Zügen. Bezeichnend ist die wichtigtuerische Dramatisierung seiner Person anläßlich der umstrittenen Rettung der bankrotten Hypo-Real-Estate-Bank: „Hätte das Bundeskabinett meine Kabinettsvorlage (...) nicht gebilligt oder verschoben und der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf nicht verabschiedet, wäre ich als Bundesminister der Finanzen zurückgetreten.“ Mit keinem Wort wird jedoch der Hintergrund der HRE-Rettung erhellt, außer einem vagen Hinweis auf die „Systemrelevanz“ dieser Bank. Dagegen wiederholt Steinbrück offen seine Begründung, weshalb der Staat die privaten HRE-Aktionäre enteignen mußte: „Die Abhängigkeit von einer Hauptversammlung und  (...) von Minderheitsaktionären mit dem Potential erheblicher Störmanöver mußte aus meiner Sicht beendet werden.“

Nach Sarrazins skandalisierter Immigrantenschelte dürften Steinbrück einige seiner darauf folgenden Einlassungen zu den „Grenzen der Transfergesellschaft“ möglicherweise nachträglich peinlich sein. Dabei formuliert er vorsichtig indirekt, wie um sich abzusichern: „Hinter vorgehaltener Hand gilt es nicht als abwegig, daß die Addition von Kindergeld, Elterngeld und eventuell Geschwistergeld bei drei, vier und fünf Kindern (...) eine stark motivierende Wirkung für die Zuwanderung nach Deutschland hat.“ Diese politischen Fettnäpfchen, in die man mit solchen Hinweisen tritt, erweiterten sich zu ganzen Schüsseln, so Steinbrück, wenn man hinzufüge, „daß der wachsende Geldsegen für Kinder in einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten nicht zu weniger und besser gebildetem Nachwuchs führt, sondern noch mehr bildungsferne Kinder hervorbringt“.

Steinbrück kaschiert in seinem ge-samten Buch regelmäßig seine Angst vor klaren Positionen. Überhaupt: Ambivalenz ist seine Grundposition, Pragmatismus seine Lehre. Seine „tiefe Skepsis gegenüber Visionen und Utopien“ paart sich mit seiner Kapitulation vor der Komplexität der Wirklichkeit mit ihren vielen Politik-Varianten. Er sieht die Politik „zum Spagat gezwungen“: „Das Sowohl-Als-auch wird die politi-sche Kunst des 21. Jahrhunderts.“ Dabei verhehlt Steinbrück nie seine Verortung als knallharter Sozialdemokrat und Marktskeptiker mit einem tiefen Glauben an die segensreichen Wirkungen von Staatsinterventionen.

„Nur ein Idiot glaubt, daß er über sich die Wahrheit schreiben kann“, zitiert Steinbrück den britischen Schriftsteller Eric Ambler. Steinbrück verkündet durchaus eine Menge Wahrheiten, „unterm Strich“ aber fehlt die Weisheit des Resümees. Dessen offensichtlich unfähig diskreditiert sich Steinbrück mit seinem Buch als potentieller politischer Retter in kommenden Zeiten.

Peer Steinbrück: Unterm Strich. Verlag Hoff mann und Campe, Hamburg 2010, gebunden, 320 Seiten, 23 Euro

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