© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Ein Präsident steht im Regen
Debatte: Auch knapp zwei Wochen nach seinen Äußerungen zum Islam schlägt Bundespräsident Christian Wulff Kritik entgegen
Hans Christians

Die Rede von Bundespräsident Christian Wulff anläßlich des Tags der Deutschen Einheit wirkt noch immer nach (JF 41/10). Mit seiner Aussage, der Islam gehöre „wie das Christen- und Judentum“ zu Deutschland, hat Wulff eine Debatte ausgelöst, die zunehmend an Schärfe gewinnt. Auffallend dabei ist, daß der Bundespräsident vor allem auch aus dem bürgerlichen Lager kritisiert wird. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nannte ihn in einem Atemzug mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdogan „einen Islamfreund“ und führte aus: „Wulff, der Christ, kämpft für den Islam. Ganz so wie Erdogan.“ Das ist starker Tobak, trifft aber offenbar eine verbreitete Grundstimmung.

 Am deutlichsten gegen die Worte des Bundespräsidenten positionierte sich der hessische Regierungschef Volker Bouffier: ,,Der Islam prägt unsere Gesellschaft und unser Staatsverständnis nicht annähernd so wie Christentum, Aufklärung und Humanismus. Der Islam gehört nicht zum Fundament unseres Landes. Der Islam muß erst einmal den Herausforderungen eines säkularen Staates im 21. Jahrhundert gerecht werden und sich zu einer Religion wandeln, die mit der Moderne kompatibel ist.“ Auch aus Bayern meldeten sich kritische Stimmen zu Wort. „Man darf die Äußerungen des Bundespräsidenten nicht so mißverstehen, daß wir den Islam in Deutschland integrieren wollten. Es gibt dazu keinen Anlaß“, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Während es in der Union Unruhe gibt, erhielt Wulff ausgerechnet von türkischer Seite aus Rückendeckung. Dieser habe „eine Realität zur Sprache gebracht“, sagte Erdogan nach einem Treffen mit der Bundeskanzlerin. Angela Merkel forderte die in Deutschland lebenden Türken auf, das Grundgesetz zu akzeptieren und die deutsche Sprache zu erlernen.

Leise Kritik an den Worten des Bundespräsidenten gab es aus den Reihen der SPD. Der Bürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky (SPD) sagte dagegen: „Zur Wertschöpfung unserer demokratischen Gesellschaft gehört der Islam zweifelsohne nicht.“ Buschkowsky weiter: „Reformation und Aufklärung, die auch zur Trennung von Staat und Religion führten, hat der Islam noch vor sich. Dem Islam fehlt vor allem Liberalität und Kritikfähigkeit.“ Für orthodoxe Fundamentalisten etwa setze noch immer derjenige sein Leben aufs Spiel, der sich vom Islam abwende.

Gedankenspiele über Mißfelders Nachfolger

 Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte dagegen „es wäre ein wichtiges Signal an die vier Millionen Muslime in Deutschland, wenn der Staat den Islam als Religionsgemeinschaft anerkennt“ (siehe auch Seite 7). Es gelte jetzt den Dialog mit den muslimischen Dachverbänden zu forcieren, um die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. „Der Islam braucht eine faire Chance in Deutschland“, forderte Wiefelspütz.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder warnte vor einer übereilten Anerkennung des Islam als gleichberechtigter Religion: „Ein orthodoxes Verständnis des Islam, nach dem dieser die Einheit von Religion und Politik ist, hat in Deutschland nichts zu suchen.“ In der Bundesrepublik gelte das Grundgesetz und nicht die Scharia. Ob Frauen geschlagen werden dürfen, beantworte „bei uns das Grundgesetz und nicht der Koran“, sagte Schröder. Die Menschenrechte stünden über religiösem Recht. „Darüber müssen wir nicht debattieren, das müssen wir voraussetzen“, sagte die Ministerin.

 Zusätzliche Brisanz erhielt die Debatte durch Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Dieser forderte im Focus einen Stopp für „Zuwanderer aus bestimmten Kulturkreisen“. Es könne doch nicht ernsthaft bestritten werden, „daß sich bei uns Zuwanderer aus fremden Kulturkreisen schwerer tun als Zuwanderer mit dem gleichen kulturellen Hintergrund wie die Deutschen“. Die üblichen Reaktionen ließen freilich nicht lange auf sich warten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), widersprach vehement und kritisierte, Seehofer „grenze bestimmte Bevölkerungsgruppen aus“. Grünen-Chefin Claudia Roth verlangte eine Entschuldigung und warf dem Bayern vor, er „spiele den Sarrazin“. Angesichts der schwindenden Zustimmung für die Union drängt sich in der Tat der Verdacht auf, einige Vertreter könnten das Thema lediglich nutzen, um den Verkauf des „letzten Tafelsilbers“ ein wenig teurer zu machen.

Unterdessen ist der Publizist Ralph Giordano hart mit Wulff ins Gericht gegangen. In einem offenen Brief kritisiert er dessen Gleichsetzung des Islam mit Christen- und Judentum als Teil Deutschlands scharf. Diese offenbare „eine so verstörende Unkenntnis der Wirklichkeit und verfrühte Harmonisierung grundverschieder Systeme, daß es einem die Sprache verschlagen will“.

Foto: Bundespräsident Wulff:  „Verstörende Unkenntnis“

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