© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Ankara hat das letzte Wort
Die Forderung, den Islam in Deutschland als Religionsgemeinschaft anzuerkennen, scheitert an dessen Zersplitterung und am politischen Einfluß der Türkei
Michael Paulwitz

Die „Anerkennung des Islam als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft“ steht erneut auf der Tagesordnung. Vom Bundespräsidenten ermuntert, machen SPD und Grüne Druck, um den islamischen Verbänden ihre liebste Forderung zu erfüllen. Islam-Lobbyisten der unterschiedlichsten Parteien und Organisationen stoßen eifrig ins selbe Horn. Was aber ist „der Islam“ in Deutschland, und wer spricht im Namen von Millionen eingewanderter Muslime?

Gemessen an den Mitgliederzahlen vertreten die muslimischen Vereine und Verbände in Deutschland nur etwa ein Zehntel der gut vier Millionen hier lebenden Moslems unterschiedlichster Herkunft und Glaubensrichtungen (siehe Kasten). Familienangehörige und ohne formelle Mitgliedschaft an die jeweiligen Moscheegemeinden Gebundene sind hier freilich nicht mitgerechnet; aber auch die großzügiger interpretierende Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, die 2009 im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz (DIK) erstellt wurde, hat maximal zwanzig Prozent Mitglieder in religiösen Vereinen oder Gemeinden ermittelt. Gleichwohl bezeichneten sich 36 Prozent der Muslime als „stark gläubig“, weitere 50 Prozent als „eher gläubig“.

Die wenigsten Moslems fühlen sich vertreten

Selbst- und Fremdwahrnehmung liegen dabei oft weit auseinander. So nimmt der 2007 gegründete „Koordinationsrat der Muslime“ als Spitzenverband der vier größten Dachverbände für sich in Anspruch, nicht weniger als 85 Prozent der Moscheegemeinden und 90 Prozent der „organisierten Muslime“ zu vertreten. Tatsächlich können aber nicht einmal zehn Prozent der in Deutschland lebenden Muslime mit dem Namen ihres selbsternannten Vertreters überhaupt etwas anfangen. Laut DIK-Studie fühlen sich weniger als ein Viertel der hier lebenden Muslime von den einschlägigen Verbänden „ganz oder teilweise“ repräsentiert.

Die einflußreichsten Islam-Verbände in Deutschland sind die türkisch geprägten Ditib, Milli Görüs und VIKZ. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) verfügt dabei über die stärkste Organisation. 1984 gegründet, unterstehen der Ditib nach eigenen Angaben inzwischen 896 Moscheegemeinden. Die problematische Rolle des Verbandes ergibt sich bereits aus seiner Organisationsstruktur: Der deutsche Ditib-Zweig ist eine Untergliederung des staatlichen türkischen Religionsamtes und wird straff von Ankara aus geführt. Die Funktionäre stehen auf der Gehaltsliste der türkischen Regierung, ebenso ihre in der Türkei ausgebildeten und jeweils für vier Jahre entsandten Imame. Ditib führt mehrere der größten Moscheegemeinden in Deutschland, die bekanntesten sind die Großmoscheen in Duisburg-Marxloh und die am Stammsitz in Köln-Ehrenfeld.

Daß Funktionäre und Imame der Ditib-Gemeinden, denen die freitäglichen Predigtthemen direkt aus Ankara vorgegeben werden, vorrangig türkische Interessenpolitik betreiben, liegt dabei auf der Hand. Nach jedem Freitagsgebet wird in Ditib-Moscheen „Allahs Segen“ für „Nation und Regierung“ erbeten – natürlich für die in Ankara. Parallel zu Staat und Regierung der Türkei gerät auch Ditib verstärkt unter strengreligiösen Einfluß.

Gleichzeitig stellt Ditib, ebenso wie die anderen türkischen Verbände, die Identifikation mit der Türkei und dem Glauben der Heimat und damit die Verfestigung der Parallelgesellschaften, auf denen ihre Einflußstellung beruht, in den Vordergrund. Durch eloquente Führungsfiguren wie den früheren Mannheimer Imam und jetzigen Beauftragten für „interreligiösen Dialog“ Bekir Alboga hat Ditib es gleichwohl verstanden, sich als Partner im Integrationsgeschäft zu empfehlen. Daß Ditib zugleich zu den größten Anbietern sogenannter „Integrationskurse“ in Deutschland gehört, ihre Arbeit mithin auch noch vom deutschen Steuerzahler gefördert wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Fragwürdigkeit der milliardenschweren staatlichen „Integrationsprogramme“.

Etwa dreißig Mitgliedsverbände zählt der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland. Dominiert wird der Verband mit seinen mehr als 500 Moscheegemeinden indes weitgehend von der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG), dem nach Ditib zweitgrößten Islamverband in Deutschland. Der Name („Nationale Sicht“) geht zurück auf ein 1973 erschienenes Buch Necmettin Erbakans, der Leitfigur des politischen Islamismus in der Türkei, aus dessen Bewegung auch die AKP des heutigen Ministerpräsidenten Erdogan hervorging. Solange in der Türkei der kemalistische Laizismus die Politik bestimmte, waren die europäischen und insbesondere die deutschen Strukturen lange das eigentliche Rückgrat der Erbakan-Bewegung. Dem Verfassungsschutz gilt Milli Görüs als einflußreichste islamistische und zugleich als betont türkisch-nationalistische Organisation.

Immer wieder geriet die IGMG ins Visier von Ermittlungen: So machten dubiose finanzielle Machenschaften Schlagzeilen, bei denen fromme türkische Anleger viel Geld verloren. Im Frühjahr 2009 schließlich geriet der Generalsekretär der Organisation, Oguz Ücüncü, in den Verdacht der illegalen Finanzierung islamisch-terroristischer Gruppen wie der palästinensischen Hamas. Die Ermittlungen, die den „Islamrat“ die Teilnahme an der in diesem Mai eröffneten zweiten „Islamkonferenz“ gekostet hatten, wurden im September 2010 eingestellt.

Einer der ältesten islamischen Dachverbände ist der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), der seinen Sitz ebenfalls in Köln hat und aus einem 1973 gegründeten Kulturzentrum hervorging. Dem Verband gehören rund 300 Moscheegemeinden an, er steht in enger Verbindung mit einer türkisch-sunnitischen Laienbruderschaft. Der VIKZ schottet sich konsequent nach außen ab, bildet seine eigenen Imame aus und betreibt seit einigen Jahren auch eigene Internate, in denen Kinder türkischer Einwanderer streng religiös erzogen werden.

Beifall aus dem Bundesinnenministerium

Im Jahr 2000 trennte sich der VIKZ vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), den er 1994 selbst mitbegründet hatte. Der ZMD vertritt vorwiegend nichttürkische Muslime; auch bosnische oder albanische Organisationen haben sich ihm angeschlossen. Seinen vergleichsweise hohen Bekanntheitsgrad verdankt der Verband seiner offensiven Pressearbeit, die die deutsche Politik regelmäßig mit weitreichenden Forderungen konfrontierte. Für diesen Kurs standen sowohl der bis vor kurzem als Präsident fungierende Konvertit Ayyub Axel Köhler als auch sein Nachfolger, der noch weit weniger verbindlich auftretende bisherige Generalsekretär Aiman Mazyek, der sich unter anderem durch aggressiv vorgetragene gemeinsame Kampagnen mit seinem Amtskollegen Stepfan Kramer vom Zentralrat der Juden, etwa gegen Thilo Sarrazin, hervorzutun wußte.

Im Kontrast zu diesem Schulterschluß stehen extremistische Verbindungen im Umkreis des ZMD, dem mit der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) als weiterem Gründungsmitglied die laut Verfassungsschutz mitgliederstärkste Organisation der fundamentalistischen „Muslimbruderschaft“ angehört, welche wiederum als Mutterorganisation der Hamas gilt. Geführt wurde die IGD von 2002 bis Anfang 2010 von München aus durch Ibrahim El-Zayat, Sohn eines ägyptischen Imams, islamischer Multifunktionär und erfolgreicher Immobilienunternehmer, der europaweit Moscheebauprojekte realisiert hat und auch die etwa 300 deutschen Moscheen der Milli Görüs verwaltet, mit der er nicht zuletzt durch die Einheirat in den Erbakan-Clan eng verbunden ist.

Als Reaktion auf die offene Einladung des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU), der deutschen Politik fehle ein „einheitlicher Ansprech- und Verhandlungspartner“, gründeten die vier Verbände Ditib, VIKZ, Islamrat und ZMD 2007 unter ministeriellem Beifall den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM). Der damalige ZMD-Vorsitzende Ayyub Axel Köhler verlangte als KRM-Sprecher umgehend „Gegenleistungen“ des Staates. Ersichtliches Hauptziel der Verbände war die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechts und faktische Gleichstellung mit den Kirchen, um wertvolle Privilegien wie Vertretung in öffentlich-rechtlichen Gremien inklusive Fernsehanstalten und die Möglichkeit zu von ihnen verantwortetem Religionsunterricht an staatlichen Schulen zu erreichen.

Dagegen sprachen schon damals die Heterogenität, die auch radikale und fundamentalistische Organisationen einschloß, und die Unverbindlichkeit der Organisationsform. Ein bloßer Dachverband könne weder Religionsgemeinschaft noch Körperschaft sein, gab selbst der Grüne Volker Beck zu bedenken. Da der Islamrat wegen seiner IGMG-Nähe zur zweiten Islamkonferenz nicht mehr eingeladen wurde und der „Zentralrat“ diese deshalb boykottierte, ist es auch um den Koordinationsrat merklich stiller geworden. Von daher bleibt dunkel, welche Strukturen SPD und Grüne mit ihrem Vorstoß zu einer Anerkennung „des Islam“ im Sinne hatten, wenn es sich nicht ohnehin lediglich um auf muslimische Wähler zielenden Populismus handelte.

Einen anderen Weg geht die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF), die weiter in der Islamkonferenz mitwirkt. Rund ein Drittel der Einwanderer aus der Türkei, darunter viele Kurden, bekennen sich zum Alevitismus; drei Viertel der türkischen Aleviten betrachten ihn als ihre Vertretung. Die eher liberal ausgerichtete Alevitische Gemeinde lehnt anders als die sunnitischen und schiitischen Verbände die Scharia ab. Die Landesverbände der AABF in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Berlin und Bayern sind als Religionsgemeinschaft anerkannt und dürfen in diesen Bundesländern Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach anbieten.

Ankara verteidigt seinen Einfluß

Fraglich ist, ob der auch von der Islamkonferenz forcierte Versuch gelingen kann, durch staatlich organisierten islamischen Religionsunterricht und durch die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern an staatlichen Hochschulen einen „gemäßigten“, gewissermaßen verfassungskonformen Islam zu etablieren. Die Verbände verlangen bestimmenden Einfluß auf Art und Inhalt der Ausbildung und argumentieren, die Gemeinden und ihre Gläubigen würden allzu fortschrittliche Imame und Koranlehrer ohnehin nicht akzeptieren. Und in Ankara hat der Vorgesetzte der Ditib-Funktionäre, Ali Bardakoglu, kürzlich verkündet, Freitagspredigten in Ditib-Moscheen würden „in alle Ewigkeit“ auf türkisch gehalten, und muslimische Theologen für Deutschland müßten weiterhin in der Türkei ausgebildet werden. Schließlich müsse die Ditib die „nationalen Werte“ bei den „Auslandstürken“ erhalten.

 

Moslems in Deutschland

Die Zahl der in Deutschland lebenden Moslems wächst rasch. Von 3,8 bis 4,3 Millionen, also rund fünf Prozent der Bevölkerung, geht derzeit dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge  aus; 3 bis 3,5 Millionen nennt die Studie des Bundesinnenministeriums „Muslime in Deutschland“ für das Jahr 2001.

Fast drei Viertel der Moslems in Deutschland sind Sunniten, knapp dreizehn Prozent gehören der liberalen alevitischen Glaubensrichtung an, sieben Prozent sind Schiiten. Die restlichen sechs Prozent verteilen sich auf ostasiatische Richtungen, mystische und Splittergruppen. 45 Prozent oder bis zu zwei Millionen Muslime haben den deutschen Paß. Die Zahl der deutschstämmigen Konvertiten wird auf 13.000 bis hunderttausend geschätzt.

Die Mehrzahl der Moslems stammt mit offiziell rund 2,7 Millionen aus der Türkei; eine weitere große Gruppe sind Muslime aus Südosteuropa, insbesondere bosnische Muslime und Albaner aus dem Kosovo und Mazedonien. Insgesamt leben in Deutschland Muslime aus 50 verschiedenen Ländern.

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