© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Die schwere Geburt einer neuen Bürokratie
EU: Posten- und Finanzgeschacher um den gemeinsamen Europäischen Auswärtigen Dienst / Chefin Ashton scheint überfordert
Arnulf Rall

Ein gemeinsamer Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) soll die EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern vom politischen Zwerg zum geachteten Mitspieler der Großen der Welt machen. So will es der 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon. Keinesfalls aber sollten die Botschaften und die Außenministerien der 27 mit ihren 60.000 Beamten fusioniert werden, denn das hätte die Karrierechancen der den Vertrag verhandelnden Diplomaten doch zu hart beschnitten.

So kam man überein, die 138 Delegationen der EU-Kommission in Drittländern (die dort hauptsächlich Handelsfragen und Entwicklungsprojekte bearbeiten) und die Generaldirektion für Außenbeziehungen der Kommission in Brüssel zu übernehmen. Ein Drittel des neuen EAD von rund 4.000 Beamten soll die Kommission stellen, ein Drittel soll aus dem Ratssekretariat kommen, das dem früheren EU-Außenbeauftragten Javier Solana zugearbeitet hatte, und ein Drittel kommt aus den Außenministerien der Mitgliedstaaten. Diese Mitarbeiter werden für eine Dauer von bis zu zehn Jahren zur EU abgeordnet.

Wie jene zusammengewürfelte Truppe mit ihren unterschiedlichen Werdegängen und Loyalitäten je zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, einer gemeinsamen Dienstkultur, einschließlich des Umgangs mit vertraulichen Militär- und Geheimdienstthemen, kommen soll, bleibt noch ein Geheimnis.

Zur neuen EU-Außenbeauftragen wurde vor Jahresfrist die britische Labour-Politikerin Catherine Ashton (JF 2/10) bestimmt, die einigermaßen lustlos ihren neuen Posten übernahm, so daß in Englands Presse bald Rücktrittsgerüchte auftauchten. Diese bestätigten sich bislang nicht. Dennoch bleibt die 54jährige an Verwaltungsfragen desinteressiert, es gibt keine Presseinterviews.

EU-Delegationen kommen fast ohne Deutsche aus

Die 1999 als Life Peer geadelte Ashton mag offenbar keine Auslandsreisen, sie läßt sich bei allen wichtigen Terminen von Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso die Schau stehlen. So ist der EAD bislang kaum vom Fleck gekommen. Mangels Führung von Lady Ashton tun Mitgliedstaaten und Europaparlament nun das, was sie bei intergouvernementalen Angelegenheiten am liebsten tun: Sie streiten sich um Posten, und das Parlament blockiert das Geld.

Deutsche waren in den bisherigen EU-Delegationen sehr dünn gesät. Sie leiteten zuletzt gerade einmal die in Kanada, Bangladesch, Moldawien und Albanien. Jetzt kommen immerhin China und Papua-Neuguinea dazu. Auch in der Zentrale in Brüssel hatte Berlin unter einer französisch-spanischen Führung der Generaldirektion seit Jahren kaum noch etwas zu melden.

Da sich im neuen EAD-Apparat die geplanten Führungsfunktionen unter Lady Ashton derzeit wie in einer mexikanischen Armee unter Pancho Villa multiplizieren – ein Generalsekretär, zwei Stellvertreter, ein Verwaltungsdirektor, und sechs Generaldirektoren für die wichtigsten Weltregionen und für Multilaterales –, möchte Berlin mit zwei Kandidaten zum Zuge kommen. Zum ersten ist dies Helga Schmid, sie soll Stellvertretende Generalsekretärin werden. Von 2003 bis 2005 war die 49jährige Bürochefin des grünen Außenministers Joseph Fischer, seither leitete sie die Strategieplanung beim EU-Rat.

Aus der Kommission soll auch der FDP-Mann Gunnar Wiegand Generaldirektor für Rußland und Osteu­ropa werden. Manche Länder scheinen bereits ihr Schäfchen im trockenen zu haben: Frankreich mit Pierre Vimont (derzeit Botschafter in Washington) als Generalsekretär, Polen mit seinem Europa-Staatssekretär Mikołaj Dowgielewicz als Stellvertreter, und Irland mit David O’Sullivan, dem aktuellen Handelsgeneraldirektor der Kommission, als Verwaltungschef. Während die Mitgliedstaaten monatelang um die Posten feilschen und sich Ashton mit Entscheidungen sehr viel Zeit läßt, schießt jetzt das EU-Parlament Sperrfeuer.

Hauptsächlich geht es ihm darum, nicht wie zu Solanas Zeiten mit staatstragenden Gemeinplätzen abgefertigt zu werden, sondern über seine Haushaltsrechte die Kontrolle über die künftige Außen- und Sicherheitspolitik auszubauen. Mangels Masse und fehlender neuer Initiativen, kann es im Moment allerdings nur – wie etwa die CDU-Abgeordnete Ingeborg Gräßle – die wundersame Vermehrung hochdotierter Spitzenposten attackieren, oder sich wie der Bertelsmann-Lobbyist Elmar Brok (CDU) und der polnische Chef des außenpolitischen Ausschusses Jacek Saryusz-Wolski direkt mit der Forderung nach Quoten für Nationalitäten und Frauen in die Personalpolitik einmischen und die Kreise der Mitgliedstaaten, einschließlich des Auswärtigen Amtes, damit empfindlich stören. Denn das Parlament sitzt auf dem EU-Budget, ohne seine Zustimmung zu den entsprechenden Haushaltslinien kann der neue EAD die schönen Gehälter nicht bezahlen.

Die Nabelschau der Europäer dauert damit an. Von einer Weltrolle keine Spur. Lady Ashton scheint es nicht zu stören. Während sich vorige Woche gerade die Staats- und Regierungschefs von 46 Mitgliedstaaten in Brüssel zum Asien-Europa-Treffen (ASEM) versammelten, weilte sie fern des Dienstortes auf Mauritius. Daß sie in Brüssel durch Abwesenheit glänzte, ist wohl niemandem aufgefallen.

Die Internetseite des Europäischen Auswärtigen Dienstes erscheint nur auf englisch, französisch, spanisch und portugiesisch: www.eeas.europa.eu

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