© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Finanzkrise noch nicht bewältigt
Aus Bürgern Bürgen gemacht
von Jens Jessen

Der Vertrag von Lissabon trat am 1. Dezember 2009 in Kraft. Nicht mal ein halbes Jahr später platzte der Vertragsinhalt wie eine Seifenblase. Am 10. Mai 2010 beschlossen EU und Internationaler Währungsfonds ein 750-Milliarden-Paket zur Stützung des Euros. Die Europäische Zentralbank (EZB) verlor ihre Unabhängigkeit und mußte Staatsanleihen von hochverschuldeten Euro-Mitgliedstaaten aufkaufen. Das einst Unvorstellbare, daß die EZB diese „Schrottpapiere“ in ihr Portefeuille nehmen könnte, wurde wahr. Der Schock in den stabilitätsorientierten EU-Staaten war erheblich.

Die Unfähigkeit der EU-Mitglieder, eine Einigung für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik herbeizuführen, verursachte den Finanz-GAU mit. Zwei Jahre nach dem Kollaps von Lehman Brothers ist zudem die Weltfinanzkrise noch nicht bewältigt. Die Anpassung der Politik an eine grundlegend gewandelte Realität hat zwar schleppend begonnen. Es gibt aber immer noch keine Regulierung für den Finanzsektor. Die Commerzbank, die es ohne staatliche Milliarden nicht mehr geben würde, hat beispielsweise nach wie vor 80 Filialen in Steueroasen.

Dort können ihre Kunden Geld deponieren und der Steuerzahlung entziehen. Die deutsche Regierung sieht sich außerstande, den von ihr geretteten Banken zu untersagen, die Fluchtwege in steuerfreie Oasen offenzuhalten. Es ist bedrückend, wie es die Banken geschafft haben, aus Bürgern ein einig Volk von Bürgen für ihre mißratenen Geschäfte zu machen. Dabei haben die Banker in ihrem Kerngeschäft versagt.

Die Vertrauensbasis, auf der die Politik fußt, erodiert. Die Wut der Bürger steigt. Der Staat verliert seine Glaubwürdigkeit und damit auch seine Handlungsfähigkeit. Wenn Verträge ruck, zuck in Frage gestellt werden, wittert der Bürger Betrug. Es wäre nicht das erste Mal, daß aus einer Finanzkrise eine Instabilität von Staaten und eine Krise der Demokratie entsteht.

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