© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Flucht aus dem Dollar
Geldpolitik: Nach dem von China und den USA provozierten Währungschaos droht ein globaler Handelskrieg
Albrecht Rothacher

Wenn zwei Elefanten kämpfen, leidet das Gras. Diese afrikanische Weisheit bewahrheitet sich derzeit erneut. China besteht auf fortgesetzten Exportoffensiven mit seiner unterbewerteten „Volkswährung“ (Renminbi). Die USA versuchen, ihrem Schulden- und Arbeitslosenproblem dadurch zu entrinnen, daß sie wie zu Zeiten des Vietnamkriegs eine skrupellose Inflationspolitik beginnen, die den Dollar massiv abwertet – ebenso wie China auf Kosten des Rests der Welt.

Dazu bedrohen sich jene „G2“-Mächte – Obamas irrealer Entwurf eines sino-amerikanischen Weltdirektoriums – als Gipfel der Verantwortungslosigkeit gegenseitig mit Handelskriegen. Als Folge befürchten Ökonomen wie George Magnus von der Schweizer Großbank UBS den Beginn einer Entglobalisierung.

Banken- und Schuldenkrise längst nicht ausgestanden

So stehen derzeit nicht nur Euro, Franken und Yen, sondern auch der australische und neuseeländische Dollar, der südafrikanische Rand, der brasilianische Real, die indische Rupie, der südkoreanische Won und selbst der thailändische Baht als Fluchtwährungen aus dem Dollar unter massivem Aufwertungsdruck. Die Zentralbanken der betroffenen Aufwertungsländer versuchen gegenzusteuern, indem sie durch Zinssenkungen und den Ankauf heimischer Staatsanleihen ihre Währungen für Anleger weniger attraktiv machen. Das gegenseitige Abwerten kann auf Dauer nicht gutgehen (JF 15/10).

Bei Mini-Zinsen im Euroraum, in Großbritannien und den USA (in Japan sogar Nullzins) strömt das internationale Anlagekapital (800 Milliarden Euro jährlich) auf der Suche nach besseren Renditen noch stärker in Schwellen- und Rohstoffländer mit höheren Zinsen: nach Südostasien, Australien, Brasilien und Osteuropa – mit neuen Unsicherheiten und Aufwertungsdruck im Gefolge. Brasiliens Finanzminister Guido Mantego sprach von einem neuen „Währungskrieg“, der nach 15 Jahren relativer Ruhe wieder ausgebrochen sei. Der internationale Bankenverband IIF warnte unlängst öffentlich vor dem Zusammenbruch des Dollar, wenn die US-Zentralbank Fed weiterhin aggressiv die monetäre Liquidität ausweite.

Doch wird jener Appell ebenso wie die von Frankreich erhobene Forderung nach einer „neuen“ Weltwährungsordnung ungehört verhallen. Statt das Währungschaos zu ordnen, wurde die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einer Scheindebatte vergeudet. US-Finanzminister Timothy Geithner hatte gefordert, den Europäern im 24köpfigen Exekutivausschuß einige ihrer neun Sitze zugunsten von China und anderen Schwellenländern abzunehmen. Die EU war bereit, auf zwei Sitze (einschließlich jenes der Schweiz) zu verzichten – als Teil eines Gesamtpakets, bei dem die USA auch ihre Vetomacht aufgeben würden. Eine Einigung kam vorhersehbar nicht zustande.

Doch ist jetzt Feuer am Dach. Offenkundig ist die Banken- und Schuldenkrise von 2008 längst nicht ausgestanden. Dazu kommen die Folgen der Roßkuren in Gestalt ruinierter Staatsfinanzen. Der US-Immobilienmarkt und die dortige Konjunktur liegen trotz Bushs und Oba­mas Milliardenpaketen weiter danieder. Die Arbeitslosigkeit verharrt wie in Europa bei zehn Prozent.

George Soros, ein Milliardär mit Naheverhältnis zu den Demokraten, empfiehlt, das Haushaltsdefizit nicht wie von Obama kaum glaubwürdig versprochen bis 2013 zu halbieren, sondern statt dessen durch eine „gemäßigte“ Inflation die Abwertung des Renminbi zu erzwingen. In der Tat folgen die USA jenem Rezept: Durch den Kauf von US-Staatsanleihen – bis zum März für 1,7 Billionen Dollar, jetzt erneut für 500 Milliarden Dollar – drückt die Fed die US-Zinsen gegen Null und befördert durch die Flutung der Wirtschaft mit Liquidität das Inflationsrisiko. Mit jener „Monetarisierung von Staatsschulden“ wurde seither der Außenwert des Dollar entscheidend geschwächt. Gegenüber dem noch im Frühjahr stark angeschlagenen Euro verlor der Dollar bereits über 15 Prozent an Wert. Zum Jahresende erwarten Händler einen Kurs von 1,50 Dollar zum Euro.

US-Repräsentantenhaus beschließt Strafzollrechte

Die US-Abwertungspolitik funktioniert jedoch nicht zum Yuan (wie der Renminbi im Westen genannt wird), der von Peking an den Wert des Dollars gekoppelt ist. Chinas Kapitalverkehrskontrollen stellen sicher, daß das auch so bleibt. Nach der vielgepriesenen „Flexibilisierung“ des um 30 bis 40 Prozent unterbewerteten Renminbi durch China im Juni stieg sein Wert zum Dollar lediglich um 1,8 Prozent. Nach Schätzungen von C. Fred Bergsten vom Washingtoner Petersen Institute würde eine Aufwertung um 20 bis 25 Prozent das US-Handelsbilanzdefizit um etwa 50 Milliarden Dollar reduzieren und eine halbe Million Industriearbeitsplätze zurückbringen.

Nach vielen Vorwarnungen beschloß kürzlich das US-Repräsentantenhaus mit 348 zu 79 Stimmen, der US-Regierung das Recht zu geben, bei Währungsdumping Strafzölle verhängen zu können, wenn unterbewertete Währungen einer Exportsubventionierung gleichkommen. Die Bill of exchange rate reform ist eindeutig auf China gemünzt. Der Senat muß jetzt noch zustimmen und Obama unterschreiben. Der US-Präsident hatte Premier Wen Jiabao beim jüngsten UN-Treffen gewarnt, das chinesische Währungsdumping zerstöre US-Arbeitsplätze. Wen reagierte mit höflich-unverbindlichen Ausflüchten. Aus der chinesischen Zentralbank dagegen ließ Geldpolitikberater David Daokui Li vernehmen, China werde sich nicht wie Japan beim Plaza-Abkommen von 1995 eine Aufwertung aufzwingen lassen, welche die eigene Wirtschaft ruiniere. Chinesische Medien erinnerten genüßlich an den Besitz von 500 Milliarden in US-Bonds und die Praxis, auf Sanktionen mit Vergeltung zu reagieren – so gegen US-Geflügelexporte, als Washington Strafzölle auf chinesische Stahlröhren und Autoreifen erlassen hatte.

Dabei hatten die USA gegenüber China im ersten Halbjahr 2010 „nur“ ein Handelsdefizit von 64 Milliarden Dollar erwirtschaftet, während die EU-Staaten im gleichen Zeitraum eines von 71 Milliarden Euro einfuhren. Als die EU-Führung dem chinesischen Premier beim Brüssel-Besuch höflich europäische Aufwertungsforderungen unterbreitete, reagierte Wen ungehalten: Dies wäre ein Unglück, weil Millionen an Wanderarbeitern ihre Arbeitsplätze verlören und China in soziale Unruhen stürzen würde. Daß Chinas Exporte bislang EU-Arbeitsplätze in mindestens gleicher Höhe vernichtet haben, hatte Wen wohl niemand gesagt – und es wäre ihm auch herzlich gleichgültig gewesen.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Japanologe und Asien-Experte. Er ist Autor des Buches „Mythos Asien – Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch“ (Olzog Verlag 2007).

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