© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Pankraz,
Tom Cruise und die Sicheln des Miraculix

Miraculix darf triumphieren. In Großbritannien ist jetzt der sogenannte Druidenkult ganz offiziell als Religion anerkannt und den christlichen Kirchen gleichgestellt worden. Fortan genießen die Druidengläubigen auf der Insel dieselben Privilegien, wie sie die Anglikaner in Anspruch nehmen dürfen. Das im Land schon seit längerem existierende Druidennetzwerk darf sich ab sofort „Kirche“ nennen und erhalt den sogenannten „Wohltätigkeitsstatus“ zugesprochen, womit erhebliche Steuervorteile verbunden sind.

Auf deutsche Verhältnisse übertragen, ist das so, als würde ein irgendwo hierzulande zelebrierter obskurer Wotanskult den evangelischen und der katholischen Kirche gleichgestellt und dürfte von seinen Anhängern Kirchensteuer erheben. Das Protestgeschrei der medialen Aufseher wäre gewaltig, und es wäre ausnahmsweise sogar einmal verständlich. Denn zur ausgewachsenen „Religion“ haben es weder Druiden- noch Wotanskult je geschafft, weder in grauer Vorzeit noch später in zivilisierten Verhältnissen.

Das heutige Druidennetzwerk in England ist, bei Lichte betrachtet, nicht viel mehr als ein intellektuell-romantischer Juxverein, eine Spielerei für höhere Semester, die sich in ihrem Rotary-Club langweilen. Nicht viel besser stand es mit den im frühen neunzehnten Jahrhundert ziemlich zahlreich emporsprießenden „Druidenorden“, die mit den historischen Druiden der alten Kelten schier überhaupt nichts gemein hatten. Sie bestanden aus biederen bürgerlichen Lebensreformern und „Neuheiden“ und lösten sich später in „moderne“ Formen eines bekennenden Atheismus à la Richard Dawkins auf.

Über die realen Druiden der Vorzeit weiß man sehr wenig, ist faktisch ganz auf die Mitteilungen der römischen Eroberer angewiesen, die die Kelten seit Julius Cäsar unterwarfen. Es waren frühe Priester, Schamanen, Beschwörer der Naturkräfte, wie es sie eben in allen „primitiven“ Stammesgesellschaften gegeben hat. Sie lasen Botschaften aus den Sternen, hüteten medizinische Tricks und segneten Friedensschlüsse zwischen rivalisierenden Stammeshäuptlingen ab.

Zweifellos hatten sie große Macht. Trotzdem haben die Archäologen bisher keine identifizierbaren Druidengräber gefunden, was verwunderlich sein mag angesichts der relativ zahlreichen freigelegten prachtvollen Gräber von keltischen Fürsten und Kriegsherren. Allenfalls fand man hier und da Kultinventar, Zeremonienstäbe, Masken und Rasselbleche, die vielleicht bei religiösen Festen oder Mysterienspielen Verwendung fanden und somit auf posthume Ehrung von Druiden schließen lassen.

Plinius der Ältere berichtet von weißgewandeten Druiden, die mit goldenen Sicheln   Mistelzweige von den Eichen schnitten, um damit Opferzeremonien auszuschmücken; die Mistel galt ja als heilig, da sie im Winter, wenn alles andere pflanzliche Leben erstorben zu sein schien, noch grün auf den Bäumen wuchs. Auf Plinius bezogen sich also Goscinny und Uderzo, als sie in ihrem weltberühmten Asterix & Obelix-Comic den beiden Protagonisten als dritte Hauptfigur den Druiden und „Seher“ Miraculix zur Seite stellten, welcher jenen Zaubertrank zusammenmixt, der unbesiegbar macht.

Der Miraculix aus der Comic-Serie liefert das bisher weitaus wirkmächtigste mediale Abbild eines Druiden. Alle anderen Druidenstorys und Druidenfilme verblassen dagegen bis zur Unwahrnehmbarkeit. Der aus den Artussagen bekannte Zauberer Merlin wird erst in allerjüngster Zeit manchmal als „Druide“ verkauft, und die „Druidenromane“ von Marion Zimmer Bradley (1930–1999) mit ihrem „Nebel von Avalon“ sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.

Inzwischen gibt es auch einige kommerziell angebotene Rollenspielsysteme mit Druidenhintergrund, zum Beispiel „Das schwarze Auge“, wo der angebliche Druide  eine Art Westernheld im Dauereinsatz ist. Der jetzt in England zur steuerbegünstigten Religion erhobene Druidenglaube hat also weder heilige Texte noch glaubenskräftige Symbole, nur wüste Herumknallereien und eine Witzfigur à la Miraculix. So etwas ist in der Weltgeschichte noch nicht vorgekommen. Es läßt sich an sich nur als Ausdruck einer totalen Infantilisierung der westlichen Glaubenswelt begreifen.

Natürlich kann man fragen, warum Religionen im säkularen Staat überhaupt privilegiert werden sollen, ob das nicht ein Verstoß gegen das erklärte staatliche Neutralitätsgebot in Glaubensfragen ist. Aber es verhält sich eben so, daß Religionssysteme wie Christentum, Islam oder Buddhismus längst zu einem Lebensfaktor sui generis geworden sind, welcher das Bild der Gesellschaft tiefreichend strukturiert. Es ist für den Staat vernünftig, ja notwendig, sich mit ihnen zu arrangieren.

Sie haben Kathedralen, Tempel oder Moscheen, sie haben fein ausdifferenzierte Rituale und kulturelle Erzählungen, die in Jahrtausende alten Traditionen wurzeln und machtvolle Erinnerungen pflegen. Sie sind ein erstrangiger Faktor nationaler Identität und werden als solcher in ihren Herkunftsländern völlig folgerichtig geschützt und alimentiert, sehr im Gegensatz etwa zu momentan aufblühenden und meistens auch rasch wieder vergehenden Sekten, deren Gemeinnützigkeit völlig zu Recht in Frage steht.

Was für eine Aufregung gab es seinerzeit, als Scientology in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte! Spontane Abwehrreflexe regten sich in Volk und Staat, obwohl die Tom-Cruise-Truppe gar nicht alimentiert werden wollte, sondern im Gegenteil eine beängstigende eigene Wirtschaftskraft ins Spiel brachte und aggressiv zur Ausbreitung ihres „Glaubens“ einsetzte. Bei diesem Glauben handelte es sich freilich um nichts weiter als um ein simples Fitneßprogramm zur Aufrüstung der Seelen für den kapitalistischen Alltag.

Tom Cruise ist eben kein Druide, lediglich ein Barde, kein Miraculix, sondern ein  „Troubadix“ (so heißt der Barde bei Asterix & Obelix). Ob nun aber Miraculix oder Troubadix, als Religionsgründer taugen beide nicht. 

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