© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

In die aktuelle Debatte über den Konservatismus scheint allmählich Vernunft zu kommen. Das deuten die ersten Reaktionen auf Roland Kochs Buch „Konservativ“ an. Die Feststellung jedenfalls, daß das vom ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten vorgetragene Medley aus Anpassung, Selbstverwirklichung, unverbindlichen „Werten“ und freier Marktwirtschaft nur „angeblich konservativ“ (Georg Paul Hefty) ist, trägt zur Klärung bei. Allerdings folgern viele übereilt, daß man gar keine konservative Politik mehr treiben könne. Dabei ist die Frage, vor der wir stehen – „Was soll erhalten werden?“ – die konservative Frage seit je und schlechthin. Benjamin Disraeli, der Erneuerer der konservativen Partei Englands im 19. Jahrhundert, hat sie schon gestellt und sich auch mit dem auseinandersetzen müssen, was Koch und seinesgleichen anbieten: „Tory men, Whig measures“ – etwa „konservative Männer – liberale Maßregeln“; die Politik der „Pseudo-Tories“ charakterisierte er folgendermaßen: In der Theorie nehme der Konservatismus an, daß man das Überkommene erhalten müsse, „... in der Praxis aber bekennt er sich dazu, daß alles Überkommene unhaltbar ist. Um diese Theorie mit der Praxis in Einklang zu bringen, machen die Konservativen das, was sie den ‘bestmöglichen Kompromiß’ nennen: sie treffen eine Vereinbarung, die kein Prinzip und kein Ziel anstrebt außer das Erreichen einer zeitweiligen Pause ...“

„Mauve“ ist eines jener Worte, die einem plötzlich mehrfach begegnen, ohne daß man ihre Bedeutung kennt. Wenigstens war zu ahnen, daß es sich um einen Farbennamen handelt. Wie das Nachschlagewerk belehrt, die Bezeichnung für ein blasses Violett, die Farbe der wilden Malve. Wahrscheinlich wären Frauen informierter, immerhin handelt es sich um das letzte Beispiel für eine Modefarbe im strengen Sinn. Kaiserin Eugénie von Frankreich, die Gattin Napoleons III., hatte sie 1862 zur Farbe der Saison erklärt und die Damenwelt folgte willig ihrem Diktat. Das war vor der Machtergreifung der Couturiers und vor der Entwicklung industrieller Farbenproduktion und letztlich der Emanzipation jeder einzelnen, die das angeborene Recht besitzt, sich nach Gutdünken zu putzen. – Notwendige Ergänzung nach Lektüre des Wikipedia-Eintrags: „Mauve“ steht im Englischen schon seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für „Schwul-Sein“.

Man lernt nie aus: Sogar das Summen des Horst-Wessel-Liedes ist strafbar.

Der Bundespräsident hat für seine Rede zum Tag der Einheit da Beifall geerntet, wo es ihm wichtig war: bei der linksliberalen Presse, der Opposition, dem Zentralrat der Muslime. Aber seine Zufriedenheit mit solcher Anerkennung könnte ein Irrtum sein. Man fühlt sich bei bürgerlicher Kapitulation vor den Realitäten immer an die Entscheidung des Springer-Verlags vom Frühjahr 1989 erinnert, endlich die Gänsefüßchen am Kürzel „DDR“ zu tilgen und damit den zweiten deutschen Staat als Faktum anzuerkennen, und an die Absicht der CDU-Spitze im Sommer des Jahres, die Forderung nach „Wiedervereinigung“ aus dem Programm zu streichen. Wenn man glaubt, endlich im Gang der Zeit aufgeholt zu haben, schlägt der einen Haken oder vollzieht eine Kehre.

Bildungsbericht in loser Folge I: Irgendwo äußert Arnold Gehlen die Vermutung, daß das „maulende Mädchen“ erst in der Nachkriegszeit aufgetreten sei. Dann müßte man es deutlicher unterscheiden von anderen Formen weiblicher Verstimmtheit und entsprechendem Mienenspiel: der mürrischen Jungfer, der schnippischen Zicke, der latent aggressiven Feministin mit herabgezogenem Mundwinkel. Maulen hat etwas mit Verwöhntheit zu tun und ist deshalb seit dem Wirtschaftswunder häufiger und heute zum Breitenphänomen geworden: überall Gesichter, darin der stumme Vorwurf: „Du amüsierst mich nicht.“

Zum Thema „Deutschfeindlichkeit“: Ernst Jünger schrieb weiland seinem Sekretär Armin Mohler, wenn schon die Antiquare genötigt seien, in ihren Katalogen anzumerken, daß antisemitische und nationalsozialistische Schriften bloß zu wissenschaftlichen Zwecken abgegeben werden dürften, dann sollte man erwarten, daß dasselbe für antideutsche und kommunistische Erzeugnisse gelte.

Disraeli gehört nicht zu den Säulenheiligen unserer Verehrer angelsächsischer Tradition. Das hat Gründe. Einer mag in seinem skandalösen Satz liegen: „Die Rasse ist der Schlüssel der Weltgeschichte“, ein anderer in seiner Bedeutung für den britischen Imperialismus, ein dritter in der Entschlossenheit, mit der er den älteren toryism hinter sich ließ und eine konservative Partei schuf, die seinem Ideal von „natürlicher Aristokratie“ und Massengefolgschaft nahe kam. Das war sehr weit entfernt von Burke und altenglischen Idyllen, erinnert nicht von ungefähr an Carlyle und „Konservative Revolution“.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint in zwei Wochen in der JF-Ausgabe 44/10.

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