© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/10 15. Oktober 2010
Vom Alltagsverstehen und vom Neuroreduktionismus Vom Gen war zuletzt im Feuilleton viel die Rede. Unbeabsichtigt bestätigten naturwissenschaftliche Laien dabei mit ihrem Veto gegen biologistische oder gar rassistische Grundierungen der Thesen Thilo Sarrazins, was man in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie derzeit zum Verhältnis von Biologie und Psychologie erörtert. Vor allem die modischen kognitiven Neurowissenschaften (Hirnforschung) hätten ein reduktionistisches Verständnis vom Zusammenhang mentaler Prozesse mit ihren neurophysiologischen Grundlagen begünstigt, wie der Kieler Psychologe Rainer Mausfeld kritisiert (Psychologische Rundschau, 4/2010). Mentale Phänomene wie Sprachverstehen, Lernschwächen oder Depressionen erscheinen zwar intuitiv plausibler, wenn sie auf materielle Substrate wie Hirnareale oder Gene zurückgeführt würden. Doch von seriöser wissenschaftlicher Theoriebildung würde sich solche enge Bindung an Erklärungskonzeptionen des Alltagsverstehens weit entfernen. Leider beherrsche der Neuroreduktionismus aber nicht nur den populären Diskurs über die Humanwissenschaften, sondern steuere auch den akademischen Selektionsmechanismus, da sich heute durchsetze, wer Grundlagenprobleme meide und stattdessen bearbeite, was sich rasch in Publikationen umsetzen läßt. www.hogrefe.de |