© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Vereinigungen im Wendejahr
Erzählstücke des Lyrikers Lutz Rathenow
Christian Dorn

Zum 20. Jahr der Deutschen Einheit legt der vielseitige Autor Lutz Rathenow ein eigenwilliges „Wende-Buch mit zwei Vereinigungsgeschichten“ vor. Nimmt man dessen Titel für bare Münze, geschieht es einzig „Der Liebe wegen“. Schließlich ist sie der treibende Motor für beide Geschichten. Dessen „Öl“ sind indessen die unkonventionellen, teils frech-frivolen Illustrationen des renommierten Grafik-„Knechts“ Frank Ruprecht.

Diese sind so gesetzt, daß sie mit den lakonisch-vertrackten Texten Rathenows zu einem Film verschmelzen. Indes bleibt die Ablaufgeschwindigkeit dieses Kopfkinos ganz in der Hand des Lesers, muß dieser doch den Lektüreprozeß beim Blättern selbst bestimmen. Entsprechend gerät die Lektüre zu einer vergnüglichen Gratwanderung am Hang zur Graphic Novel. Da aber „Der Liebe wegen“ ein im wörtlichsten Sinn zu verstehendes „Wende-Buch“ ist – beide Geschichten treffen sich in der Mitte – zeigt es überdies an: Die Wirklichkeit, im Leben wie in der Kunst, steht zuweilen kopf. Da eine Geschichte vor 1989 entstand, die andere in jüngster Zeit, verbinden sich hier zudem auf reizvolle Weise Damals und Jetzt.

Letztere zeigt sich in dem Erzählstück „Das unerwartete Glück“ so verrückt, wie die Wirklichkeit „in Wirklichkeit“ ist. Eine weibliche Protagonistin findet durch die Blitzliebe zu einem jungen Mann – welcher im selben Augenblick stirbt – die rettende Idee für ihr Drehbuch. Der zweite Text unter dem Titel „Spieglein im Gesicht“ ist hingegen ein Märchen aus den achtziger Jahren, das in erotisch aufgeladenen Bildern von einer egozentrischen Prinzessin und ihrer Suche nach der Liebe erzählt. Es erscheint gleichwohl als eine zeitlose Geschichte, die heute als Parabel stehen mag für eine Welt aus Superstar-Casting, Gala und Goldenem Blatt.

Zwar ist der „Daniel Westling“ in Lutz Rathenows Erzählung kein Fitneßtrainer, sondern ein bloßer „Bauernbursche“. Doch dafür sind die von Ruprecht in Szene gesetzten Spiegelbilder in den Pupillen von Prinzessin und Prinzgemahl so sündhaft, daß selbst ein Playboy erröten würde. Sie sagen uns: Sex ist zuweilen weniger in der City als in einem Werk, das nur „der Liebe wegen“ veröffentlicht wird.

Lutz Rathenow, Frank Ruprecht: Der Liebe wegen. Ein Wende-Buch mit zwei Vereinigungsgeschichten. Edition Buntehunde, Regensburg 2009. 42 Seiten, 29 Illustrationen, 14,90 Euro

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