© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Anstehen für Hitler
Der Führer lebt: Das Deutsche Historische Museum scheitert an seinen eigenen Widersprüchen
Christian Dorn

Bei einer Vergangenheit, die nicht vergeht, weil sie zum quasi-religiösen Gründungsmythos des Gemeinwesens geworden ist, scheint es heikel, wenn sie zum musealen Gegenstand (v)erklärt wird. Schließlich ist für den Stiftungspräsidenten des Deutschen Historischen Museums (DHM) Hans Ottomeyer der Vorgang der Musealisierung immer der Beweis für „ein Stück abgeschlossener Kulturgeschichte“.

Freilich: Was Ottomeyer 2007 mit Blick auf Karl May rekapitulierte, dem das DHM seinerzeit eine große Ausstellung gewidmet hatte, gilt nicht für den Bereich des Politischen, sobald es das Dritte Reich betrifft. Entsprechend zeigte sich das geschichtsdidaktische Dilemma, das sich mit der „Dauerpräsentation unserer Schande“ (Martin Walser) verknüpft, bereits im Vorfeld der Schau „Hitler und die Deutschen“. So fragte Die Welt in besorgtem Ton: „Darf man in Berlins Mitte eine Ausstellung über den Diktator machen?“ Der angesprochene Hausherr, DHM-Direktor Ottomeyer, reformulierte diese Frage zur Eröffnung wie folgt: „Hitler darstellen: Soll man das, wenn man das kann?“

Um es vorwegzunehmen: Das DHM kann es nicht, denn es traut sich nicht. Der „kollektive Traum der Vergangenheitsbewältigung“ (Ottomeyer) entpuppt sich als ein fortdauernder Alptraum. So könnte die Schau, in der zugleich der Zusammenhang von „Volksgemeinschaft und Verbrechen“ exemplifiziert werden soll, auch unter dem Titel „Angst vor Hitler“ stehen. War es doch allererstes Anliegen der Kuratoren, die Ausstellung von „Reliquen“ freizuhalten. Gemäß der Vorgabe, daß die Exposition „keine Hommage“ an Hitler sein dürfe, fehlen persönliche Zeugnisse Hitlers fast vollständig. Dabei hatte das DHM erst vor zwei Jahren – in seiner Ausstellung über Stefan Zweig – ein dreizehnseitiges Autograph Adolf Hitlers gezeigt, das der Schriftsteller im August 1933 für stolze 1.000 Reichsmark ersteigert hatte und bei dem es sich um das Manuskript einer Rede handelte, die Hitler 1928 im Berliner Lustgarten gehalten hatte.

Gleichwohl finden sich auf den etwa 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche circa 600 Exponate und etwa 400 Fotos und Plakate. Einen bleibenden Eindruck hinterlassen sie allerdings nicht. Schließlich wurde peinlich darauf geachtet, jedweden Ansatz, der eine „Faszination“ transportieren könnte, zu brechen. Und auch da, wo eine historische Verknüpfung mit dem Ausstellungsort selbst herzustellen gewesen wäre, wird darauf verzichtet: So fehlt etwa der Hinweis auf das gescheiterte Attentat von Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff am 21. März 1943, als Hitler im Zeughaus eine Ausstellung sowjetischer Beutewaffen besichtigte – vielleicht weil es den einstigen Hitler-Mythos der „Vorsehung“ bestärkt hätte?

Wenn auch in einer Vitrine ein halbes Dutzend „Führer“-Büsten zusammengepfercht wurden, bleibt die Person Hitler in der Schau letztlich ausgespart. Eine Erklärung hierfür liefert Ausstellungsdirektor Ottomeyer: „Bewußt“ hätte sich das DHM „nicht auf die bizarre Persönlichkeit Hitlers eingelassen, da sie in Amerika auf Mißverständnis stoßen würde“, denn: „Als aggressiver Nichtraucher, Vegetarier und Alkohol-Abstinenzler“ besitze Hitler das prototypische „Profil eines Gutmenschen“.

Aber gerade an dieser Stelle wäre es spannend geworden, hätte es doch einen irritierenden Anknüpfungspunkt in die Gegenwart gestattet. Der eigentümliche Widerspruch, einerseits die Verehrung für Hitler in zahlreichen Artefakten zu dokumentieren, die ihr zugrundeliegende Faszination und Begeisterung jedoch außen vor zu lassen, ist ein offenbar bewußt geschaffenes Defizit, das aber nicht vor einer kuriosen Fehleinschätzung bewahrt, wenn Ottomeyer beteuert, dies sei „eine Schau, die kein Mißverständnis hervorruft“. Dabei tut sie genau das. Die entpersonalisierte Methode erinnert dabei an die frühere Praxis des deutschen Spielfilms, der es noch bis in die neunziger Jahre vermied, den „Führer“ im Vollprofil darzustellen.

Diese Furcht vor dem „Bruder Hitler“ (Thomas Mann) zieht sich vom Anfang bis zum Ende der Ausstellung, in deren letztem Bereich Formen der Ironisierung zitiert werden (Walter Moers’ animierter Videoclip „Ich hock in meinem Bonker“ oder die Video-Persiflage „Hitler-Leasing!“ von Florian Wittmann und Gerhard Polt) und auch solche des Marketings (alle 46 Hitler-Titel des Spiegel von 1946 bis heute).

Wer über das Pänomen Hitler und „Volksgemeinschaft“ mehr erfahren will, wird von den Kuratoren (Hans-Ulrich Thamer, Simone Erpel, Klaus-Jürgen Sembach) auf den opulenten Katalog verwiesen. Doch selbst dort wird der betrogene Besucher nur bedingt Antworten finden. Eher sollte er zu Martha Dodds autobiographischer Aufzeichnung „Nice to meet you, Mr. Hitler! Meine Jahre in Deutschland 1933 bis 1937“ greifen oder dem Sammelband über die „Reisen ins Reich 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland“ (herausgegeben von Oliver Lubrich). Denn die Ausstellung selbst demonstriert durch den ungebrochenen Besucherstrom mit Schlangen von bis zu einer Stunde Wartezeit, was die Kuratoren eigentlich verhindern wollten: „Der Führer lebt.“

Die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ ist bis zum 6. Februar 2011 im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums, Hinter dem Zeughaus, in Berlin täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 6 Euro, für Jugendliche bis 18 Jahren ist er frei. Info-Telefon: 030 / 20 30 44 44 www.dhm.de

Fotos: „Das Dritte Reich“, Gemälde von Georg Netzband (Öl auf Leinwand, 1935): Dargestellt ist eine NS-Kundgebung im Berliner Lustgarten, Bronze-Büste Adolf Hitlers; Kartenspiel „Führer-Quartett“; Propagandaschild 1933–1945: Einen bleibenden Eindruck hinterlassen die Stücke nicht

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