© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Freiwillige Apartheid
Wie in Deutschland so in Frankreich: Ein Buch über Einwanderung und Demographie sorgt für Irritation
Karlheinz Weissmann

Bei Veränderungsprozessen spielen Dissidenten eine wichtige Rolle. Mit dem Begriff sind diejenigen gemeint, die eigentlich „dazu“ gehören, Teil der tonangebenden Kreise sind, Macht und Einfluß haben, sich aber entscheiden, das zu riskieren, um ihre abweichende Anschauung zur Geltung zu bringen. Der Grad des Risikos ist so verschieden wie die Motive, sie können ehrenhaft oder weniger ehrenhaft sein. Angesichts der Hyperstabilität unserer politisch-medialen Klasse wird man fast immer von ehrenhaften ausgehen müssen: Es ist im Regelfall einfacher und sicher lukrativer, an einer offiziellen Lüge festzuhalten, als die Wahrheit zu sagen.

In der Bundesrepublik war die Jugendrichterin Kirsten Heisig ein typischer Fall von Dissidenz, in Frankreich ist es Michèle Tribalat, Forschungsdirektorin des Institut national d’ études démographiques (INED), also des nationalen Instituts für demographische Untersuchungen. Tribalat hat in diesem Sommer ein Buch unter dem Titel „Les Yeux grands fermés“, auf deutsch etwa: „Die Augen weit geschlossen“, veröffentlicht, das zwar nicht dasselbe Aufsehen erregte wie Heisigs Buch über die Jugendkriminalität, aber durchaus geeignet wäre, eine ähnliche Irritation hervorzurufen.

Der Grund ist, daß auch hier eine Insiderin preisgibt, was man vielleicht längst vermutet und der Stammtisch sowieso gewußt hatte: Einwanderung ist ein Fehlschlag. Migration kann den Völkertod nicht aufhalten, ihre ökonomischen Folgen sind im Positiven kaum meßbar, im Negativen wirken sie sich vor allem als Lohndruck aus. Betroffen ist der untere Teil der Autochthonen und die bereits früher Eingewanderten. Einwanderung vermehrt spezifische Formen der Kriminalität und führt zur Ghettobildung, die sich auch durch administrative Maßnahmen nicht beseitigen läßt, da das gemeinsame Siedeln den Zusammenhalt der Fremden gegenüber den Einheimischen fördert (und die Integration unterläuft), das heißt ihr „ethnisches Kapital“ (George J. Boras) vermehrt.

Faktisch kommt es zu einer Art von freiwilliger Apartheid, und der Vergleich mit den USA ist lehrreich: Eine langfristige Untersuchung an den Schwarzen-Vierteln von Detroit hat gezeigt, daß trotz sanften oder massiven Drucks seit den 1970er Jahren praktisch keine Veränderung in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft stattgefunden hat: bei der alten Segregation – „Chocolate City“ hier, „Vanilla Suburbs“ da – ist es geblieben.

Warum diese Sachverhalte in der Öffentlichkeit nicht diskutiert werden, erklärt Tribalat mit dem Zusammenwirken dreier Faktoren:

1. Der Einfluß der „Ideologie“ des Antirassismus; daß es sich um eine Ideologie handelt, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, könne man daran erkennen, daß von Arabern oder Schwarzafrikanern gegen Weiße als Weiße gerichtete Attacken, wie sie vermehrt vorkommen, per se nicht „rassistisch“ sind. „Rassismus“ kann immer nur das Motiv von Weißen gegenüber Nichtweißen sein. Antirassismus ist mittlerweile in zahlreichen Gesetzen und Vorschriften verankert, die nicht nur staatliche Organe binden, sondern auch Privatunternehmen; es gibt mächtige Einflußgruppen der Migranten, die sich lautstark Geltung verschaffen, wenn sie ihre beziehungsweise die Interessen ihrer Klientel gefährdet sehen.

2. Die Entscheidung, die Einwanderung jeder demokratischen Diskussion und Entscheidung zu entziehen. In Frankreich habe sich seit den Erfolgen des Front National in den 1980er Jahren eine breite Koalition der Wohlmeinenden gebildet, die erzwinge, daß über Einwanderung grundsätzlich nur unter dem Aspekt des Vorteils geredet werde. Da es solche Vorteile praktisch nicht gebe, würden sie fingiert. Das habe sogar Politiker, die samt ihren Wählern aus grundsätzlichen Erwägungen gegen Einwanderung seien, dazu gebracht, öffentlich das Gegenteil zu behaupten, um der Verfemung zu entgehen.

3. Bestimmte Fragestellungen werden tabuisiert und die Verbreitung bestimmter Informationen systematisch verweigert. Tatsächlich stünden sogar staatliche Einrichtungen wie das INED vor dem Problem, daß Daten – etwa in bezug auf die faktischen Kosten von Einwanderung – zensiert oder deren Herausgabe sabotiert würden.

Tribalat zitiert zu Beginn ihres Buches den amerikanischen Ökonomen Timur Kuran mit dem Satz: „Die vor einer tyrannischen Regierung geschützten Gesellschaften sind nicht gefeit gegen eine Tyrannis, die sie über sich selbst mit Hilfe der Öffentlichen Meinung ausüben.“ Es steht dahinter eine zutreffende und wichtige Beobachtung, allerdings gehört es zu den Schwächen ihrer Argumentation, daß sie nur sehr vorsichtig die Frage stellt, wer denn eigentlich für die Uniformität und die Geschlossenheit des Meinungsklimas verantwortlich ist, auf welche Weise also veröffentlichte und öffentliche Meinung zusammenspielen.

Tribalat verweigert den letzten Schritt, der zur Klärung notwendig ist, ähnlich wie im Fall ihrer Einsicht, daß in den letzten beiden Jahrzehnten die Utopie des global governance nicht nur zum Richtpunkt politischen Handelns geworden ist, sondern dauernd so getan wird, als ob man im Ernst „Weltinnenpolitik“ treibe, der Uno Handlungsvollmachten und Eingriffsmöglichkeiten in nationale Belange zustünden, ohne daß Kompetenzen fest- und Verantwortungen klargestellt würden oder den Untertanen der universalen Republik deutlich wäre, wer die Herren des plötzlich auf den Plan getretenen Gemeinwesens sind.

Diese Mängel können sich aus taktischen Rücksichtnahmen erklären, aber auch daraus, daß Tribalat erst den Ansatz der Einsicht gewonnen hat, daß eine „adäquate“ Politik und eine adäquate Migrationspolitik nur durchführbar sind mit Blick auf eine „politische Demographie“ (Robert Hepp), die hinreichende Klarheit darüber besitzt, was „demos“, also „Volk“ ist.

Michèle Tribalat: Les Yeux grands fermés. L’immigration en France. Denoël, Paris 2010, kartoniert, 223 Seiten, 19 Euro

Foto: Bettlerin in Paris: Einwanderung ist ein Fehlschlag. Sie vermehrt spezifische Formen der Kriminalität und führt zur Ghettobildung.

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