© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Ein deutsches Gütesiegel wird verschleudert
Wenn die Kultusminister nicht einlenken, wird der Diplom-Ingenieur in Deutschland endgültig abgeschafft
Michael Manns

Rund 6.000 Jahre alt ist dieser Beruf. Cicero lobte seine segensreiche Arbeit im Römischen Reich mit stolzen Worten. Im 19. Jahrhundert wurden durch ihn die Treibsätze der Industrialisierung gezündet, und der letzte deutsche Kaiser adelte sein Engagement mit allen universitären Weihen. Die Rede ist vom Ingenieur. Genauer vom Diplom-Ingenieur, der zum Markenzeichen, Gütesiegel und zur Strahlkraft deutscher Wertarbeit weltweit wurde.

Jetzt soll er endgültig abgeschafft werden. So wollen es willfährige Polit-Bürokraten – wenn die deutschen Kultusminister nicht doch noch einlenken und wie in Österreich eine EU-konforme Sonderregelung erlauben. Den engagierten Proteststurm haben die am angloamerikanischen Vorbild orientierten deutschen Bachelor/Master-Reformisten wohl unterschätzt. Die Erfinder des 19. Jahrhunderts liefen nicht im Dreireiher herum wie die Besitzer der Produktionsmittel. Verrußt und verölt wie Proletarier schraubten sie an den Werkbänken. Doch sie waren die Avantgarde des Maschinenzeitalters, auch wenn sie vom Bildungsbürgertum und den Talarträgern von oben herab behandelt wurden.

Doch Wilhelm II., der ein Sensorium für technische Entwicklungen hatte, erkannte ihre Bedeutung. So geht der Ursprung des „Dipl.-Ing.“ auf einen „Allerhöchsten Erlaß“ des Deutschen Kaisers Wilhelm II. zurück. Er datiert auf den 11. Oktober 1899 und wurde anläßlich der Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Berlin am 19. Oktober 1899 verkündet. Damit gab Wilhelm II. „den Technischen Hochschulen in Anerkennung der wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie in den letzten Jahrzehnten neben der Erfüllung ihrer praktischen Aufgaben erlangt haben“, das Recht, den Diplom-Ingenieur zu verleihen – und auch zu promovieren. Die als Fachidioten und Handwerker Verspotteten waren gleichberechtigt geworden.

Der jahrelange Kampf der Technischen Hochschulen und der Ingenieure für ihre Reputation hatte sich ausgezahlt. Professor Ernst Schmachtenberg, Rektor der RWTH Aachen, bilanzierte unlängst: „Darauf waren und sind wir Ingenieure (...) bis heute stolz. (...) Allerdings ist der ‘Dipl.-Ing.’ (...) in großer Gefahr. Die deutschen Kultusminister haben im Zuge ihres Reformeifers mit der Einführung des zweistufigen Studiensystems mit Bachelor- und Masterstudiengängen auch mal eben den akademischen Grad ‘Dipl.-Ing.’ abgeschafft – man könnte auch sagen, ‘das Kind mit dem Bade ausgeschüttet’.“

Denn genau 100 Jahre später begann der sogenannte Bologna-Prozeß zur Vereinheitlichung der europäischen Studienabschlüsse. Schmachtenberg, er studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Kunststofftechnik, appelliert daher: „Die deutschen Hochschulen nehmen in Anspruch, weltweit in der Ingenieurausbildung führend zu sein. Dies spiegelt sich in Hightech-Produkten der deutschen Industrie wie Werkzeugmaschinen, Flugzeugen oder in der Elektrotechnik wider. Solche Produkte deutscher Ingenieure sind weltweit angesehen. Aus dem Ausland kommen Studenten extra hierher zur Ausbildung.“

Der Professor erinnert an die Leistungen der Vergangenheit: Wer war der Erfinder des Elektronenmikroskops? Ernst August Friedrich Ruska. Ein deutscher Elektroingenieur. Wer erfand den ersten Computer? Dipl.-Ing. Konrad Zuse, ein Bau-Ingenieur. „Diplom-Ingenieure haben uns den Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte beschert. Diplomierte Ingenieure sind es, die im globalen Wettbewerb die Innovationen vorantreiben, damit wir auch künftig in Wohlstand, Sicherheit und in Einklang mit der Umwelt leben können“, so Schmachtenberg.

Markenzeichen für höchste Qualität

Aktuelle Beispiele aus der Wirtschaft hat der renommierte Sprachkritiker Wolf Schneider in der Jubiläumsschrift „111 Jahre Dipl.-Ing.“ zusammengetragen:

Wenn das Observatorium auf La Palma den weltgrößten Teleskopspiegel einbauen will (10,40 Meter Durchmesser) – den bestellt es bei Schott in Mainz.

Als die Erbauer des Burdsch Chalifa-Wolkenkratzers in Dubai eine Pumpe suchten, die Beton mehr als 600 Meter hoch befördern kann, fanden sie sie bei der Firma Putzmeister in Aichtal.

Wenn der riesige Jesus über Rio de Janeiro oder die steinernen Köpfe von vier US-Präsidenten am Mount Rushmore gereinigt werden sollen, dann wendet man sich selbstverständlich an die Firma Kärcher in Winnenden bei Stuttgart.

Für das internationale Tsunami-Frühwarnsystem liegt die Federführung beim Deutschen Geoforschungs-Zentrum.

Die längste Brücke der Welt, der 45 Kilometer lange Qatar Bahrain Friendship Bridge, wird großenteils von deutschen Diplom-Ingenieuren errichtet.

Die Allerweltsbezeichnung „Master of Science“ statt Dipl.-Ing – die Verantwortlichen an den Technischen Universitäten rauften sich die Haare und organisierten den Protest. Die neun größten und renommiertesten TUs in Deutschland ebenso wie der Verband deutscher Universitätsprofessoren und der Verein der deutschen Ingenieure (VDI) alarmierten die Öffentlichkeit. Unterstützung bekommen sie aus der Wirtschaft. Dieter Zetsche, Vorstandschef der Daimler AG: „Ein ‘Dipl.-Ing.’ vor dem Namen ist wie ein Stern auf der Haube: Ein Markenzeichen für höchste Qualität. Es waren Ingenieurleistungen, die zur Erfindung des Automobils geführt haben – und es werden Ingenieurleistungen sein, die auch über die Neuerfindung des Autos für die Ära nach dem Öl entscheiden.“

Und Wolfgang Reitzle, Vorsitzender des Vorstands der Linde AG: „Der Dipl.-Ing. ist eine deutsche Marke mit internationaler Strahlkraft. Er steht für höchste Qualität, Präzision und Verläßlichkeit – und damit für die Werte und Tugenden, für die unser Land in der ganzen Welt respektiert und anerkannt wird. Der Dipl.-Ing. leistet einen ganz wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland.“

Schneider warnt: „Wer dieses grandiose Markenzeichen abschaffen oder auch nur verändern wollte, würde eine ungewöhnliche Dummheit begehen. Namen sind Signale, der Name Coca-Cola ist weit mehr wert als das Produkt, und nie könnten Gucci und Armani es überleben, wenn sie sich in Smith und Schulze umbenennen müßten.“ Schmachtenberg hofft auf ein Einsehen der Kultusministerkonferenz (KMK), die vorige Woche tagte. Doch die beschäftigte sich mit Integration, Sprach- und Lernförderung. Nun soll das Ingenieur-Thema auf die Tagesordnung der nächsten KMK am 9. Dezember gesetzt werden.

Die Initiative der Technischen Universitäten „TU9 – German Institutes of Technology“:  www.tu9.de

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