© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Horst Seehofer dreht sich nur noch um sich selbst
Parteitag: Der CSU-Chef verliert in den eigenen Reihen immer mehr an Rückhalt
Paul Rosen

In der CSU gibt es einige eiserne Regeln. Eine besagt, daß der jeweilige Vorsitzende kurz vor einem Parteitag kräftig ins Horn zu blasen und zu polarisieren hat, damit die Heerschau der vermeintlich noch größten politischen Kraft Bayerns genügend Beachtung in den Medien findet. Eine andere besagt, daß der Landesgruppenvorsitzende der Berliner Abgeordneten vor der traditionellen Klausurtagung Anfang Januar in Kreuth ähnliches zu leisten hat. Damit kann das Tagungshaus zwar im Schnee versinken, aber dem Donnerhall aus den bayerischen Bergen widerfährt genügend Aufmerksamkeit.

Kreuth fiel in diesem Jahr bereits der Vergessenheit anheim. Am Wochenende ist mit dem Parteitag der CSU in München der nächste Polter-Anlaß. Prompt begann Parteichef Horst Seehofer Mitte Oktober mit dem gezielten Verletzen von Tabus, indem er eine zusätzliche Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis ablehnte und damit unter schweres Feuer der Multikulti-Fraktion geriet. „Seehofer guckt bei Sarrazin ab“, stellte die Financial Times Deutschland fest, bemerkte aber nicht, daß Seehofer in den Wochen zuvor kein positives Wort für den ehemaligen Berliner Finanzsenator über die Lippen gekommen war.

Seehofer legte sogar noch nach und stellte die „Rente ab 67“ in Frage: „Wir haben die Verlängerung der Lebensarbeitszeit unter der Maßgabe beschlossen, daß sich die Beschäftigungssituation für ältere Arbeitnehmer deutlich verbessert. Das ist bisher nicht geschehen“, erläuterte er in der Welt am Sonntag seinen Vorstoß, der mit niemandem abgesprochen war und deshalb entsprechende Irritationen auslöste. „Die Rente mit 67 steht nicht zur Disposition“, widersprach der Landesgruppenvorsitzende Hans-Peter Friedrich seinem Parteichef und machte damit zwei Dinge klar. Ersten: Die CSU hat keine klare Position, und zweitens: der Vorsitzende hat keine Autorität.

Besonders ernst genommen hat man Seehofer außerhalb der Medien ohnehin nie. Zu behende hat der Ingolstädter in der Vergangenheit seine Positionen gewechselt. Ein Wetterfähnchen ist eine stabile Einrichtung im Vergleich zu Seehofers Gesinnung. „Wer Herrn Seehofer kennt, weiß, daß das, was Herr Seehofer heute sagt, morgen vielleicht schon nicht mehr gilt“, stellte die bayerische FDP-Generalsekretärin Miriam Gruß gelassen fest.

Der letzte Titan seiner Partei

Ein gutes Beispiel dafür ist die Wehrpflicht. Erst warnte Seehofer davor, dieses Kernstück der Unions-Programmatik aufzugeben. Als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – genauso wendefreudig wie sein Chef – die Wehrpflicht auf den Müllhaufen der Geschichte kippte, drehte sich Seehofer ganz schnell mit. Der 61jährige ist von Hause aus Sozialpolitiker und stand immer auf dem linken Flügel der CSU. Als Erbe des Arbeits- und Sozialministers der Kohl-Ära Norbert Blüm führte er einen zunächst ritterlichen Kampf gegen Kopfpauschalen und die Liberalisierung des Gesundheitswesens, der in der späteren Phase lächerlich wurde, als er tagelang nicht ans Telefon ging und jeden Kontakt vermied. Der Streit endete mit seinem Rücktritt als stellvertretender Fraktionschef. 

2007 sah er seine Chance gekommen, als der Titan Edmund Stoiber, der als letzter für den von Franz Josef Strauß erhobenen „bundesweiten Anspruch“ der CSU stand, gestürzt wurde. Die Mehrheit der Funktionärskaste kannte nur ein Ziel: den als irrlichternden und nicht teamfähig geltenden Seehofer verhindern, um Schaden von der Partei abzuwenden, was zur Epigonen-Lösung Günther Beckstein und Erwin Huber führte. Das Tandem kippte nach einem Jahr, und für Seehofer wurde der Weg zur Spitze frei. Als Vorsitzender und Ministerpräsident versuchte er eine Verjüngung, indem er zahlreiche über 60jährige in die Wüste schickte. Damit stellte er sich selbst zur Disposition, auch wenn er auf Gerüchte, Karl-Theodor zu Guttenberg wolle ihn als CSU-Chef ablösen, erklärte, „natürlich“ wolle er 2011 wieder kandidieren.

Die Tragik für Seehofer besteht nicht darin, daß er seinen oft vorgetragenen christlich-konservativen Anspruch als Vater einer kleinen unehelichen Tochter nicht besonders überzeugend darlegen kann. Vielmehr ist er der letzte Titan seiner Partei. Nach der Generation von Franz Josef Strauß, Friedrich Zimmermann und Alois Goppel folgten Stoiber, Theo Waigel, Michael Glos – und Seehofer. Während Stoiber, Waigel und Glos unbestreitbar für das konservative Element der CSU standen, war Seehofer immer der Linksausleger. Damit hat die CSU dasselbe Problem wie die CDU: Die sozialdemokratischen Überzeugungen dominieren, und das reduzierte Angebot wird von immer weniger Wählern angenommen, im Fall der CSU von derzeit weniger als 40 Prozent.

Statt mit einer inhaltlichen und personellen Neuaufstellung das Absinken zur bedeutungslosen Regionalpartei aufzuhalten, führt die CSU als neue Errungenschaft Jahrzehnte nach anderen Parteien eine Frauenquote bei der Ämterbesetzung ein. Für solches Schmusen mit dem Zeitgeist hatte Strauß nur Spott übrig: „Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwer.“

Foto: CSU-Chef Horst Seehofer: Schon immer ein Linksausleger

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