© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

„Die Polizei macht einen guten Job“
Gewaltdebatte: Eine Diskussion über angebliche Übergriffe der Ordnungskräfte verläuft anders als von den Initiatoren erwartet
Lion Edler

Der Zungenschlag der Debatte wurde bereits in der Anmoderation bestimmt. Das Thema Polizeigewalt habe momentan einen hohen medialen Stellenwert, stellte die Journalistin des Fernsehmagazins „Panorama“, Anja Reschke ,fest. Da sie aus Hamburg komme und daher mit den häufigen Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und der Polizei im linken Schanzenviertel vertraut sei, wisse sie: „Beide tun sich nicht viel in puncto Zurückhaltung.“ Am Montag leitete Reschke in Berlin eine Podiumsdiskussion von Amnesty International (ai), die unter der Überschrift „Nichts zu verbergen? Mehr Verantwortung bei der Polizei!“ den von linken Organisationen wie ai nicht erst seit den Auseinandersetzungen um „Stuttgart 21“ immer wieder beklagten angeblich unverhältnismäßigen Übergriffen der Polizei auf den Zahn fühlen wollte.

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, bemühte sich nach der gezielten Provokation von Reschke um Diplomatie. Den Einstieg der Journalistin in die Diskussion halte er für „mindestens nochmal überlegenswert“, deutete Witthaut sein Unbehagen an. Daß es allein 2009 knapp 3.000 Ermittlungsverfahren gegen Beamte gab, wie Reschke ihm vorhielt, sah er anders als Reschke als Beleg dafür, daß die Polizei nichts vertusche. Es würden alle Vorwürfe aufgeklärt, und wenn notwendig würden die entsprechenden strafrechtlichen Instrumente angewandt.

Grimmige Blicke aus dem Publikum

Das sah die Moderatorin offenbar anders und suchte bei der „Amnesty“-Generalsekretärin Monika Lüke Bestätigung. Doch diese verneinte zunächst die Frage, ob es in Deutschland ein Problem mit „Polizeigewalt“ gebe: „Die Polizei macht ganz überwiegend einen guten Job.“ Dann folgte doch noch das große aber: Es gebe ein strukturelles Problem, das darin liege, „daß bei Vorwürfen gegen die Polizei nicht ordentlich aufgeklärt wird, nicht unverzüglich ermittelt wird“. „Die Ermittlungen werden verschleppt“, behauptete Lüke. Dies liege an einem oftmals falsch verstandenen Wir-Gefühl in den Polizeieinheiten, einem „Korpsgeist“. Ändern könne man dies mit einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die nicht nur der Aufklärung diene, sondern auch Polizisten vor ungerechtfertigten Vorwürfen schützen würde. Zudem brauche es eine unabhängige Untersuchungskommission für Vorwürfe gegen die Polizei, wie es schon lange vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert werde.

Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Hövelmann (SPD), hält die geforderten Namensschilder für Polizisten allerdings für keine gute Lösung. Der Minister verwies darauf, daß es in Sachsen-Anhalt keinen einzigen Fall gebe, in dem eine disziplinarische oder strafrechtliche Verfolgung eines Polizeibeamten daran gescheitert sei, daß man nicht habe herausfinden können, um welchen Beamten es sich handelte. Hövelmann sprach daher von einer „Placebo-Diskussion“, und bezweifelte, daß eine Kennzeichnungspflicht tatsächlich helfe.

Unterstützung erhielt der Minister erwartungsgemäß von Witthaut. Der Gewerkschafter befürchtet, daß durch eine Kennzeichnungspflicht seine Kollegen zu Unrecht mit Strafanzeigen überzogen würden. Es habe zudem bereits Vorfälle gegeben, bei denen im Internet massiv gegen Polizisten vorgegangen werde, nachdem ihre Namen bekannt geworden seien. Betroffene, die in „irgendwelchen Listen“ auftauchen, hätten häufig auch berufliche Nachteile, warnte Witthaut.

Immer wenn der Polizeigewerkschafter oder Innenminister Hövelmann sprachen, setzte das Publikum, das vernehmbar mehrheitlich aus Polizeikritikern bestand, grimmige Blicke auf und verschränkte abwehrend die Arme. „Geh nach Hause,“ ruft ein Teilnehmer, als Witthaut wieder einmal das Wort ergreift.

Hövelmann hielt Reschke schließlich vor, ein falsches Bild von der Polizei-Ausbildung zu haben, zu der auch Themen wie Menschen- und Grundrechte gehörten. Doch auch das konnte Reschke und das Publikum an diesem Abend nicht mehr mit der Polizei aussöhnen.

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