© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Merkel kuscht
Euro-Krise: Trotz ausufernder Neuverschuldung keine Verschärfung der Strafen für die Defizitsünder
Bernd-Thomas Ramb

Hoch und heilig zwar nicht, aber immerhin doch im höchsten Brustton der Überzeugung wurde bei der Aufspannung des Euro-Rettungsschirms (JF 22/10) im Mai dieses Jahres versprochen: Einmal und nie wieder! Das Hilfspaket für die akut zusammenbrechenden Staatsfinanzen Griechenlands wurde mit insgesamt 750 Milliarden Euro allerdings vorsichtshalber so groß geschnürt, daß es auch für die anderen anstehenden Euro-Pleitekandidaten Irland, Portugal und Spanien reichen könnte.

Die Sünder sollen über die Sünder richten

Damit wurde offen gegen elementare Vereinbarungen verstoßen, die bei der Einführung der Euro-Währung getroffen wurden: Den teilnehmenden Staaten ist eine gegenseitige Unterstützung im Falle einer staatlichen Überschuldung verboten („No-Bailout-Klausel“) und der Europäischen Zentralbank (EZB) der Ankauf von staatlichen Schuldverschreibungen untersagt. Um diese Mißachtung auszugleichen wurde von der deutschen Regierung beschwichtigend eine umfassende Reform des Stabilitätspakts mit schnelleren und strafferen Sanktionen gegen Defizitsünder versprochen. Zu laxen Staaten müßten zur Strafe EU-Fördermittel entzogen und befristet das Stimmrecht verwehrt werden, forderte Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung am 19. Mai dieses Jahres.

Während Merkel den Euro-Rettungsschirm als „alternativlos“ deklarierte, verzichtete sie auf eine entsprechende Einschätzung bei der Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes. So verwundert es letztlich nicht, daß die Kanzlerin nun einknickt und sich der Auffassung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy unterwirft, der Knackpunkt der Reform, die automatische Bestrafung von Stabilitätssündern, müsse gestrichen werden, um die Mitgliedstaaten zu „ermächtigen, geeignete, koordinierte Maßnahmen zu ergreifen, um die finanzielle Stabilität der Euro-Zone als Ganzer zu gewährleisten“. Im Klartext: Die Sünder sollen über die Sünder richten.

Verwundert über die Nachgiebigkeit der deutschen Regierungschefin sind die wenigen noch soliden Partner im Stabilitätskampf. „Ich bin überrascht, daß wir nicht die hundertprozentige Haushaltsdisziplin von Deutschland bekommen haben“, äußert sich Schwedens konservativer Finanzminister Anders Borg. Auch Finnland und die Niederlande kritisieren die Rückgratlosigkeit Merkels. Nur die zweite Garnitur des deutschen Finanzministeriums preist ihre Kabinettschefin. Der von Peer Steinbrück übernommene Staatssekretär Jörg Asmussen (SPD), der den erkrankten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vertritt, sieht in der deutsch-französischen Reformeinschränkung tatsächlich „eine klare Stärkung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts“. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), vermeint sogar zu erkennen, Deutschland sei „sehr zufrieden“ mit dem Kompromiß.

Dem widerspricht die verschnupfte Reaktion des finnischen EU-Währungskommissars Olli Rehn. Er hält den deutsch-französischen Alleingang „persönlich nicht für relevant“ und sieht allein seine Wochen zuvor formulierten Reformvorschläge als Grundlage für das bevorstehende Gesetzgebungsverfahren. Verschnupft ist auch Merkels Koalitionspartner FDP. Dem Befremden des FPD-Bundesvorsitzenden und Außenministers Guido Westerwelle ob des Merkel-Sarkozy-Klüngels setzte die Bundeskanzlerin kurzerhand ein Dementi jedweden Konflikts zwischen ihr und Westerwelle entgegen. Untergewichtig erscheinen auch die Einwände der EZB. Deren Unmut schlägt sich in einer Fußnote zu den Reformvorschlägen nieder: „Der Präsident der EZB unterstützt nicht alle Punkte dieses Berichts“.

Die EZB stört sich in Wirklichkeit enorm daran, daß die defizitsündigen Euro-Länder auch künftig keine automatischen Sanktionen zu erwarten haben, sondern ein mehrheitliches Strafvotum aller Staaten abwarten können. Dies bleibe weit hinter dem zurück, was die EZB für notwendig halte, so EZB-Stimmen. Das Jammern wirkt jedoch heuchlerisch. Gerade hat der französische EZB-Präsident Jean-Claude Trichet den deutschen Bundesbankpräsidenten Axel Weber öffentlich abgekanzelt, weil dieser ein unwiderrufliches Ende des Euro-Rettungsschirmes nach dem Jahr 2012 gefordert hatte (JF 43/10). Die EZB könnte ihren Beitrag zur Sanktionierung der Euro-Sünder leisten, verzichtet aber darauf.

Der Schuldenfreie ist der Währungsdumme

Der Euro-Stabilitätspakt wird somit nicht nur nicht verschärft, sondern sogar weiter aufgelöst. Da alle Euro-Länder zunächst ungestraft die Defizitgrenze überschreiten und ihren Schuldenberg damit weiter anhäufen dürfen, werden immer mehr Staaten diese Option wahrnehmen. Schon jetzt verletzen 20 der 27 EU-Länder die Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht. Von den 16 Euro-Ländern weisen zehn einen überhöhten Schuldenstand aus, 13 überschreiten dieses Jahr die zulässige Defizitgrenze des Staatshaushalts von drei Prozent. Alle Länder aber dürfen über die Bestrafung der Stabilitätssünder abstimmen. Die logische Konsequenz: Der Schuldenfreie ist der Währungsdumme.

Die Zustimmung der Bundeskanzlerin zu dieser „Verschärfung“ des Euro-Stabilitätspakts wird um so verwunderlicher, als Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im Mai dieses Jahres noch ausdrücklich eingestand: „Die Veränderung und Abschwächung des Stabilitätspakts im Jahr 2004 war ein großer Fehler.“ Damals wurde die ursprüngliche Verpflichtung der Staaten aufgegeben, ihr Defizit in der festgelegten Zeit abzubauen. Jetzt führt die „Reform“ des Stabilitätspaktes zu einem Wettbewerb der Euro-Länder um den höchsten Schuldenberg. Wer die höchsten Schulden hat, profitiert am meisten – wenn der Euro liquidiert wird.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel: Schon jetzt verletzen 20 der 27 EU-Länder die Euro-Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht

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