© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Am Ende überwiegt die Skepsis
Esoterik: Ein Filmemacher hat den Lichtessern auf die Speisekarte geschaut
Baal Müller

Vor einigen Jahren begegnete mir in München eine Frau, von der ihre Freundinnen rühmten, daß sie sich nur von Licht ernähre. Das angebliche Phänomen der Lichtnahrung – von Grenzwissenschaftlern als „Breatharianismus“ bezeichnet – durchzieht die Esoterikliteratur seit Jahrzehnten und gelangt besonders dann in die Schlagzeilen, wenn übereifrige Leser umstrittener Bücher nach Selbstversuchen an Dehydrierung sterben.

Besonders berüchtigt ist in diesem Zusammenhang die australische Buchautorin und Anbieterin spiritueller Seminare „Jasmuheen“, die von sich behauptet, seit 1993 keine Nahrung außer „Prana“ oder „Lichtenergie“ – und hin und wieder ein Stückchen Schokolade, das sie aber eigentlich nicht bräuchte – zu sich genommen zu haben. Ihr Stern ist, seitdem sie an einer überwachten Untersuchung teilgenommen hatte, die sie nach vier Tagen ohne Essen und Trinken wegen akuter Lebensgefahr abbrechen mußte, im Sinken begriffen, woran ihr Erklärungsversuch, daß man spirituelle Energie nicht unter einem Mikroskop erkennen könne, auch nicht viel geändert hat.

Andere Lichtesser wie die 1937 geborene Russin Zinaida Baranova weigern sich grundsätzlich, an entsprechenden Experimenten teilzunehmen, und der wohlbeleibten Rentnerin, die sich auf kosmische Inspirationen beruft, möchte man auch nicht so recht abnehmen, daß sie sich lediglich von Licht ernährt.

Ein anderes Kaliber ist dann schon der Inder Prahlad Jani, ein über achtzigjähriger Asket, der nach eigenem Bekunden seit seinem siebenten Lebensjahr von Prana lebt, das ihm von drei Göttinnen durch ein Loch im Gaumen eingeflößt werde. In seiner Heimatprovinz Gujarat gilt der hagere, bärtige Greis als Heiliger, zu dem viele Gläubige pilgern, um seinen Segen zu erbitten.

Bereits zweimal, 2003 für zehn und im April 2010 noch einmal für vierzehn Tage, verließ er die Höhle, in der er in der Nähe des Ambaji-Tempels haust, um sich unter permanenter Videoüberwachung und der Aufsicht zahlreicher Ärzte des renommierten Sterling Hospitals in Ahmedabad umfassenden Untersuchungen zu unterziehen; während beider Klinikaufenthalte konnte – so der Neurologe Sudhir V. Shah, der das Experiment betreute – der Yogi keinerlei feste oder flüssige Nahrung zu sich genommen haben, und dennoch wurden, abgesehen von geringen Mengen Urins in seiner Blase, die aber von seinem Körper absorbiert worden seien, keine Veränderungen an ihm festgestellt. Gleichwohl wurde der Versuchsablauf vom Medical Council of India sowie von der Indian Rationalist Association als mangelhaft kritisiert, da Jani den überwachten Raum zeitweise verlassen und eventuell Kontakt zu Anhängern gehabt hätte.

Angesichts solcher, in Peter Arthur Straubingers „Am Anfang war das Licht“ nicht thematisierter Kritik und diverser offenkundig fehlgeschlagener Experimente kann man den Film nur sehr bedingt als Dokumentation bezeichnen. Zwar kommen in den aneinandergereihten Interviews auch Ernährungswissenschaftler zu Wort und dürfen ihre Stellungnahmen beisteuern, daß dergleichen „vom wissenschaftlichen Standpunkt aus“ unmöglich oder zumindest unerklärlich sei. Aber ihre Funktion, die Pappkameraden einer allzu bornierten Schulmedizin abzugeben, scheint doch allzu deutlich durch.

Neben den genannten Gurus der internationalen „Breatharianistenszene“ läßt Straubinger auch zahlreiche prominente Forscher auftreten, die als Grenzgänger zwischen etablierter Wissenschaft und den „Para-Disziplinen“ gelten, etwa den Alternativmediziner Rüdiger Dahlke, den Quantenphysiker Amit Goswami, den Luft- und Raumfahrttechniker Robert G. Jahn, den Biophotonentheoretiker Fritz-Albert Popp sowie den Naturphilosophen Rupert Sheldrake, der mit seinen Hypothesen zu morphischen Feldern, Telepathie und dem Gedächtnis der Natur internationale Bekanntheit erlangte, doch deren Äußerungen variieren zumeist die allgemeine Erkenntnis, daß es „mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt“. Für solche Dinge ist es schon seit längerem üblich, Erklärungen durch Hinweise auf die Quantenmechanik anzudeuten, denn irgendwie könnten noch unerforschte Quantenphänomene ja auch etwas mit Prana-Nahrung zu tun haben.

Die Lichtesserin übrigens, die ich seinerzeit in München kennengelernt hatte, schien nicht zu wissen, daß ihr Ruf ihr bereits zu mir vorausgeeilt war: Ich sah sie ganz ungeniert und ohne jeden Rechtfertigungsversuch – Kaffee trinken und Kuchen essen.

Foto: Yogi Prahlad Jani im indischen Gujarat: Seit über siebzig Jahren will er auf Nahrung verzichtet haben

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