© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Parteigründungen haben Hochkonjunktur
Konzentration und Zersplitterung
Dieter Stein

Noch immer nicht hat der politisch-mediale Betrieb die Schockwellen verkraftet, die das Sarrazin-Buch „Deutschland schafft sich ab“ auslöste. Nie zuvor wurde die Themen Überfremdung, Demographie und Krise des Sozialstaats derart massiv und über Wochen auf die Tagesordnung gesetzt. Trotzdem hat sich keine der etablierten Parteien bisher Sarrazins politische Agenda zu eigen gemacht und stellt sie dem Wähler bei den nächsten Wahlen zur Abstimmung. Warum auch: Es würde einen scharfen Bruch mit der Politik aller Parteien bedeuten. Nicht von ungefähr schlingert die in Berlin regierende bürgerliche Koalition trotz überraschend positiver Wirtschaftsdaten von Umfragetief zu Umfragetief. Sind es doch gerade die Stammwähler von CDU/CSU und FDP, die in diesen von Sarrazin aufgeworfenen essentiellen Fragen politische Führung vermissen. 

Da CDU und CSU, von der FDP ganz zu schweigen, zu feige und unfähig sind, das politisch geräumte Feld zu besetzen, schlägt die Stunde parteipolitischer Alternativen – und von Schnellschüssen. Überlegungen zu neuen Parteien haben Hochkonjunktur wie nie. Seit Wochen wird man als Herausgeber einer dezidiert konservativen Zeitung von Lesern und Journalisten bestürmt: „Wo ist die Sarrazin-Partei?“

Um den Titel balgen sich indes viele. Das Top-Thema ist dabei meist wie in anderen europäischen Ländern die Gefahr der Islamisierung, hinter der sich eigentlich die von Sarrazin aufgeworfene Frage nationaler Identität und Überfremdung verbirgt. 2011 stehen wieder mehrere Wahlen ins Haus: Auf ein Comeback hoffen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg im März die zuletzt erfolglosen Republikaner, die neuerdings mit der in NRW erfolgreicheren Formation „Pro Köln“ kooperieren. In Bremen kämpft im Mai die Gruppe „Bürger in Wut“ um den Wiedereinzug, in Berlin will CDU-Rebell René Stadtkewitz mit seiner neuen Partei „Die Freiheit“ im September Protest ins Abgeordnetenhaus tragen. In Hamburg, wo 2012 gewählt wird, erwägt die Initiative „Wir wollen lernen“ mit einer gemäßigten Partei der „bürgerlichen Mitte“ anzutreten. Und dabei Turbulenzen, Fusionen, Spaltungen, Neugründungen allerorten.

Eine parteipolitische Alternative täte not. Doch kein Terrain ist so verstellt von konkurrierenden Interessen, Profilierungssucht, Dilettantismus – und der Feindschaft eines politisch-medialen Komplexes, der alles dazu beitragen will, daß eine wie auch immer geartete seriöse Alternative von „rechts“ keine Chance hat. Insofern gibt es auch keine Fernseh-Talkrunden mit Vertretern konservativer oder rechtsdemokratischer Initiativen, stattdessen Journalismus mit dem Ziel, solche Ansätze zu sabotieren. Mißerfolg scheint programmiert. Um so mehr Disziplin, Realitätssinn, Kreativität – und Geld braucht es, um ein solches Vorhaben durchzusetzen.

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