© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Die Fünf-Minuten-Protestler
Kampagnen: Die Netzwerker von Campact organisieren linke Berufsdemos und verkaufen sie als Bürgerrevolte
Sverre Schacht

Sie sprechen bevorzugt bisher politisch wenig aktive Bürger an und nutzen das Internet sowie modernste PR-Kampagnen gegen konservative Themen und Politiker: Das Netzwerk Campact ist ein weit ausgespanntes Bündnis linker Medienfachleute und Berufsaktivisten. Es will mit aller Macht öffentliche Meinung steuern und politische Agenden bestimmen – mit teils fragwürdigen, doch wenig hinterfragten Methoden.

Einmal der Illusion echten Handelns erliegen

„Bei Campact werden Tausende Menschen mit wenig Zeit für politische Arbeit via Internet aktiv“, sagt Christoph Bautz (Jahrgang 1972), Geschäftsführer von Campact. Ob „Merkels Atompläne“, „Reiche Besteuern“, so der Jargon, oder Proteste gegen Gentechnik und Stuttgart 21 – Campact rühmt sich, gut 310.000 Aktive zu bündeln. Selbst zu politischen Ladenhütern wie „Gebäudedämmung“ zaubert das Kampagnennetz dank Internet beständig Aufrufe hervor, die etablierte Umweltorganisationen, Gewerkschaften oder andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lahm aussehen lassen.

In der Verdener Provinz hat sich so eine Riege junger politikwissenschaftlicher Absolventen versammelt und eifert US-Vorbildern der Öffentlichkeitssteuerung nach, so den US-Netzwerkern von „MoveOn – Demokratie in Aktion“. Wie das Vorbild besteht auch der deutsche Nachahmer aus einer ganzen Familie von Organisationen.

Das Internet erlaube es, viele Menschen mit wenig Mitteleinsatz zu erreichen, so Campact. Laut Bautz geht es dabei um die „Leute aus der Mitte der Gesellschaft“ – die erreiche Campact sehr häufig, der Verkaufsslogan dazu: „Demokratie in Aktion“. Damit erhalten linke Themen den Anstrich breiter Bürgerbewegungen, freilich ohne es zu sein. „Wenn Wirtschaftslobbyisten Gesetze diktieren wollen oder im Bundestag die Meinung der Bevölkerung nicht zählt, ist Campact zur Stelle“, beteuert die Organisation, die mittels „Newsletter“, „Twitter“ und anderer sozialer Netzwerke im Internet Förderern das Gefühl vermittelt, mitten beim Kampf für eine „sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und friedliche Gesellschaft“ dabeizusein.

Viele hätten nicht die Zeit für Engagement, regten sich aber über Politik auf und wollten handeln, so Bautz. Auf die Frage, ob schneller Protest für Nicht-Informierte statthaft sei, sagt er: „Das muß jeder selbst wissen. Wir geben den Leuten ja die Möglichkeiten auf unserer Seite, sich kurz in unserer Fünf-Minuten-Info oder auch ausführlicher zu informieren.“ Wer auf campact.de klickt, braucht nicht mal das. Um zeitgeistig mitzumischen, sich der Illusion echten Handelns hinzugeben, bedarf es nur des eigenen Namens. Wer mitmachen will, trägt dazu noch Adresse und E-Postverbindung ein. Alles andere erledigt Campact. Politische Protestschreiben sind bereits gefällig formuliert, die richtigen Adressaten ausgewählt.

Politiker attackiert das Netzwerk bevorzugt in ihrem Wahlkreis, um den Eindruck regionaler Empörung zu wecken. Eine symbolische wie öffentlichkeitswirksame Maßnahme krönt jede Kampagne – schwarze Ballons gegen Genmais, gelbe Tonnen gegen Atommüll. Über den steten Aktionismus werden die online angebundenen Förderer jederzeit auf dem laufenden gehalten.

Dieses Verständnis von Demokratie steht mitunter im Gegensatz zur repräsentativen, verfassungsgemäßen Demokratie, so beim Kampf gegen Stuttgart 21, was Campact aber nicht weiter umtreibt. Zeitgleiche Initiativen stellen kein Problem dar – während Stuttgart 21 von den Spin-Doctors, den Campact-Kampagnenfürsten, weiter hochgekocht wird, machen sie sich nebenbei für den Kampf gegen Kernkraft bereit.

Oberflächlich distanzieren sie sich von militanten Castor-Gegnern, liefern aber gerade ihnen das informationelle Netzwerk. Dadurch sucht das Portal in der Szene eine Art Hauptvertretungsanrecht für alle Themen zu beanspruchen. Wer am besten vernetzt ist, besetzt die mediale Berichterstattung, gibt die Themen vor. Viele unstete, spontan angesprochene Mitläufer liefern die Protestmasse.

Aus der Vergangenheit schlecht besuchter Demos haben die Aktivisten gelernt, nicht nur auf Überzeugungstäter zu vertrauen. Das kritisiert Florian Ziegenbalg, Referent des baden-württembergischen CDU-Fraktionschefs im Landtag, Peter Hauk. Aus Hauks Büro verbreitet sich der Vorwurf, junge Demonstranten seien für Aktionen gegen Stuttgart 21 bezahlt worden. Und zwar ohne zu wissen wofür. Sofort hagelte es empörte Stellungnahmen von Campact. Die Dementis prägen die Berichterstattung. Doch von Campact war bei der Kritik ursprünglich nicht die Rede.

Ziegenbalg will für Namen von Spendern hinter dem Demonstrantenkauf „die Hand nicht ins Feuer legen“. Der Belastungszeuge ist ein namentlich bekannter Leserbriefschreiber einer Lokalzeitung. Er sprach junge Menschen auf deren Weg zur Demo an. Die Antwort gibt er so wieder: „Stuttgart ist eine schöne Stadt, wir Magdeburger wissen aber nicht, warum die Leute gegen Stuttgart 21 demonstrieren.“ Einmal mit den jungen Magdeburgern im Gespräch, verrieten sie ihm, eigentlich der Stadt wegen gekommen zu sein. Die Reise sei aber „kostenlos angeboten“ und obendrein jedem 20 Euro Taschengeld spendiert worden.

Authentischer Protest versus inszenierter Unmut

Daß Campact sich sogleich angesprochen fühlt, macht stutzig: „Diese Behauptungen sind ungeheuerlich und völlig absurd“, so Geschäftsführer Felix Kolb. Zum Zeitpunkt der fragwürdigen Demo à la carte gab es anläßlich des Tages der Deutschen Einheit besonders günstige Bahntickets. Der Urheber der Nachricht ist zudem kein Phantom (Leserbrief liegt der Redaktion vor). Bezahlte Demonstranten sind bei einem weiteren Vorbild der Kampagnenbewegung, dem US-Wahlkampf Barack Obamas, jedenfalls ein wichtiger Faktor. Die Campact-Politikwissenschaftler werden dessen „Yes we can“-Tour sorgsam studiert haben. Angeblich nur von Kleinspendern finanziert, ordneten US-Zeitungen zwei Drittel von Obamas Finanzunterstützern nur vier Branchen zu. Dutzende Großspenden flossen aus diesen Quellen in den Obama-Wahlkampf.

Campact erhält sein Geld ebenso angeblich von Kleinspendern. Doch auch große Gönner mischen mit, so die „Software AG Stiftung“. Die zählt mit gut 25 Millionen Euro an jährlichen Fördermitteln zu Deutschlands größten Stiftungen. Campact betont dagegen seine Unabhängigkeit, auch von Steuermitteln, doch ist eine aktive Campact-Wurzel, die „Bewegungsstiftung“, in Niedersachsens staatlichen Förderhumus verstrickt. Die Stiftung sitzt im selben „Ökozentrum“ Verdens wie Campact und ist zudem Mitglied in Niedersachsens Landeseinrichtung für Erwachsenenbildung, dem Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen (VNB).

Dank anerkannter Gemeinnützigkeit ist Campact auch indirekt ein lohnendes Modell füs Steuernsparen, wirbt mit der steuerlichen Absetzbarkeit von Spenden und hat nach eigenen Angaben eine „wachsende Buchführung“. Die Unterstützung durch andere Netze wirkt. Die linke taz  feiert Campact als Alternative: „Wenn es um Atomkraft geht, dann geht es nicht mehr nur um die Grünen“, und selbst wenn derart verbreitete Presseerklärungen verpuffen, gibt es über die Campact-Vorstände beste Kontakte zu weiteren Stiftungen, Hochschulen, NGOs und Unternehmen.

Bei YouTube im Internet präsentiert Campact seine Aktionen auch. Die subtile Botschaft: Erst reden wir, dann die anderen Organisationen mit gleichem Ziel. Als schrille Begleitmusik des Atomgipfels der Bundesregierung setzt sich Campact so erfolgreich in Szene: „Trotz der kurzfristigen Mobilisierung sind wir hier heute mit 2.000 Menschen“, verkündet Campact-Vorstandsmitglied Susanne Jacoby. 

So wird man Wortführer des Protests – welches auch immer. Der Unterschied von authentischem Protest zu inszeniertem Unmut verschwimmt dabei. Der Informatiker und Bundesverdienstkreuzträger Peter Schnell, Campact-Förderer, sagte zu seiner generellen Förderpolitik einmal: „Bei fast allen Projekten handelt es sich um Ideen von wenigen Menschen, um soziale Keime, die man mit Geld in richtiger Dosierung fördern, aber durch zuviel Geld auch umbringen oder korrumpieren kann.“

 www.campact.de

Foto: Campact-Protest in Berlin „Kein Sparen im Sozialen“: Aus der Vergangenheit schlecht organisierter und daher mäßig besuchter Demontrationen haben die Netzwerker gelernt, nichts dem Zufall zu überlassen

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