© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Die immer gleiche Lektion
Konsensfixierung: Der Katalog zur Hitler-Ausstellung weist aus volkspädagogischen Gründen Lücken auf
Karlheinz Weissmann

Der Haupteindruck, den die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ (JF 43/10) hinterläßt, ist der der Unentschiedenheit. Einen ersten Hinweis auf dieses Manko liefert schon das Werbekonzept, die Gestaltung eines Plakats, das jeden Bezug auf das Thema vermeidet, also weder das Bild Hitlers noch das Hakenkreuz, noch „Nazi-Rot“ verarbeitet. Ein anderer ist das Fehlen von zwei Autorennamen in dem von Hans-Ulrich Thamer und Simone Erpel herausgegebenem Begleitband: Ludolf Herbst und Götz Aly.

Herbst hat unlängst ein Buch veröffentlicht, in dem die These vom Charisma Hitlers bestritten und dessen Aufstieg als Ergebnis geschickter Reklamefeldzüge gedeutet wird, Aly vertritt seit langem die Auffassung vom NS-Regime als „Wohlfühldiktatur“, basierend auf den gemeinsamen Ressentiments von Führer und Geführten und einem perversen Sozialismus, der aus dem Bereicherungswillen der „Arier“ gegenüber den Juden resultierte.

Der Entschluß des wissenschaftlichen Leiters der Ausstellung im Berliner Zeughaus, Hans-Ulrich Thamer, diese Interpretationen beiseite zu lassen, hat nichts mit Souveränität zu tun. Man könnte, wenn nicht von Feigheit, dann von Konsensfixierung sprechen, die für Thamer typisch ist, der den Versuch unternimmt, noch einmal jene Deutungen zu kanonisieren, die seit dem Ende des „Historikerstreits“ 1986/1987 vorherrschen. Also darf Hans Mommsen wieder seine These vom schwachen Diktator und der „Selbstradikalisierung“ eines Herrschaftssystems darlegen, das aus alten konservativen und neuen braunen Eliten bestand, und Ian Kershaw seine wohlbegründeten Aussagen über die Wirkungsmacht des „Führermythos“ zusammenfassen.

Positiv hervorzuheben ist, daß Brigitte Hamann kompetent zum frühen Hitler referiert, während der Beitrag zum Aufstieg der NSDAP nicht nur die Anfänge ausblendet, sondern konventionell im schlechten Sinn ist.

Ansonsten findet man Aufsätze, die – wie in Sammelwerken unvermeidbar – mehr oder weniger erhellend wirken: zu Hitlers Physiognomie, zur Inszenierung seiner Person einerseits, der „Volksgemeinschaft“ andererseits, zur Ikonographie des Nationalsozialismus, zu dessen parareligiösen Zügen, der Rolle der Administration, der Bedeutung von Terror und Konsens, dem Mentalitätswandel während des Zweiten Weltkriegs, vom Enthusiasmus nach dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 bis zum Zerfall der Gefolgschaft in der letzten Phase. Im allgemeinen wurde handwerklich solide gearbeitet, auch wenn die Glanzpunkte fehlen. Als Negativbeispiele müssen aber die Beiträge eines Geschichtsdidaktikers (Thomas Sandkühler) und einer Sozialhistorikerin (Birthe Kundrus) zu den zentralen Themen Bevölkerung und Krieg im Osten sowie Vernichtung der Juden angesehen werden. Die Autoren sind der Komplexität der von ihnen behandelten Zusammenhänge offenbar nicht gewachsen.

Der Hauptgrund für ein Negativurteil über den Band sind aber die Lücken, die er aufweist, die bewußte Ausblendung all dessen, was Thamer und seinen Mitarbeitern verdächtig schien, weil es bei einer Analyse der Wechselbeziehung zwischen Hitler und den Deutschen der Entlastung oder Relativierung dienen könnte. Schon die fehlende Auseinandersetzung mit den politischen, militärischen, wirtschaftlichen und psychologischen Wirkungen des Versailler Vertrags ist bezeichnend, genauso das Fehlen jeder Bezugnahme auf die „Rationalität“ des Nationalsozialismus als Reaktion auf den Bolschewismus, die Thamers Lehrer Ernst Nolte umfassend begründet hat.

Es gibt auch keine Analyse der Krise der Demokratie in Europa überhaupt und der Anziehungskraft des Totalitarismus, nicht zu reden von einer Konfrontation mit Einschätzungen Hitlers durch westliche Politiker wie etwa Churchill, der in ihm nach der „Machtergreifung“ immerhin den „George Washington“ Deutschlands sah, Muster eines Mannes, den er sich für England wünschte, falls es einmal einen Krieg verlieren sollte.

Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum findet ihr Publikum. Aber die Stellungnahmen, die bisher veröffentlicht wurden, sind verhalten. Daß deutlichere Kritik fehlt, hat vor allem damit zu tun, daß die offiziöse Vergangenheitspolitik nicht beschädigt werden soll. Dabei hätte sich hier die Möglichkeit geboten, endlich eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu führen und von dessen Instrumentalisierung abzugehen.

Aber wenn der letzte Abschnitt der Ausstellung den Titel „Hitler und kein Ende“ trägt, man immerhin auf gewisse problematische Züge von „Naziwelle“ und Bewältigungsindustrie hinweist, so bleibt das doch in Andeutungen stecken. Letztlich geht es wieder und in ermüdender Weise um Volkspädagogik, und das heißt darum, das kollektive Unbehagen wachzuhalten und den einzelnen Betrachter möglichst irritationsfrei durch die immer gleiche Lektion zu bringen.

Hans-Ulrich Thamer, Simone Erpel (Hrsg.): Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen. Sandstein Verlag, Dresden 2010, broschiert, 328 Seiten, zahlreiche SW- und farbige Abbildungen, 25 Euro.

Der Katalog kann per E-Post (verkauf@dhm.de) über den Museumsladen zuzüglich 6 Euro Versandkosten bestellt werden.

 

Publikumsrenner

Die am 15. Oktober eröffnete Hitler-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin haben bislang knapp 50.000 Besucher gesehen. Präsentiert werden rund 600 Exponate, 400 Fotos und Plakate. Geöffnet ist bis zum 6. Februar 2011 täglich von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 21 Uhr.

Foto: Von René Ahrlé zwischen 1933 und 1939 gestaltetes Plakat: Angst vor einer Relativierung

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