© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Die Gottesfrage
Wüstenreligionen: Die Kasidah Richard F. Burtons / Von der Aktualität eines fast vergessenen Klassikers
Harald Seubert

Die „Kasîdah“ von Richard F. Burton, ein streckenweise bezauberndes, streckenweise seltsames Gedicht, in dem sich Flapsigkeit und Tiefsinn mischen, konnte der Aufmerksamkeit Ernst Jüngers nicht entgehen. Deshalb empfahl er dem jungen Juristen Menno Aden im Jahr 1976 die Übersetzung.

Burton war ein Weltreisender. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in fernen Ländern, ein Geistverwandter des berühmteren Lawrence of Arabia. 1821 geboren, tritt er, der in keiner akademischen Disziplin je einen Abschluß machte, 1840 in die Ostindien-Kompanie ein und kommt im Oktober 1842 in Bombay an. Dort lernt er in kurzer Zeit eine Vielzahl von Sprachen. 1853 unternimmt er seine Haj, seien Pilgerreise nach Mekka, über die er das Buch: „Pilgrimage to Al-Madina and Meccah“ schrieb. Später reiste er durch Nordamerika, auch Afrika galt seine nachhaltige Liebe. Von 1856 bis 1859 sucht er die Quellen des Nils auf, und die letzten Jahre seines Lebens verbringt er im britischen Auswärtigen Dienst. Als Konsul in Triest ist er 1890 in der österreichischen Hafenstadt gestorben.

Diese äußeren Umstände und Fakten machen bereits deutlich, daß der Verfasser der Kasîdah, um es mit Gottfried Benn zu sagen, „durch viele Formen geschritten“ ist und die großen Weltreligionen aus enger Anschauung kennengelernt hat. Die Gottesfrage, aber auch die – heute wieder brennende – Frage nach dem Zusammenhang von Religion und (aufgeklärter) Vernunft bringt er in seinem Werk sehr nahe. Man kann die „Kasîdah“ als englischsprachiges Gegenstück zu Goethes Faust-Dichtung verstehen. Dabei ist es von atemberaubender Kühnheit, wie Burton die Grundlehren und Lebensformen fast aller großen Weltreligionen in sein Gedicht aufnimmt und streift. Gibt das Nirvana Trost oder das Kreuz? Bei Burton ist dies kein gedankenloser Eklektizismus. Er versteht vielmehr die großen Weltreligionen als Gestalten existentiellen menschlichen Fragens.

Das Gedicht zieht in seinen Bann. Es ist berührend, gerade weil sich Transzendenz immer wieder an der Alltäglichkeit entwickelt. Am Anfang steht eine Abschiedsszene. Die Karawane zieht weiter, der Dichter aber bleibt zurück. Leere und Einsamkeit der Wüste führen ihn auf die Frage nach Gott in den drei monotheistischen Wüstenreligionen (Judentum, Christentum und Islam).

In einer freischwebenden Meditation nimmt er die Stimmen der Dichter (Hafis), aber auch der heiligen Schriften auf. Er wägt die Aussagen ab, und keine kann letztlich bestehen. Denn hier ist nicht ein „Weltkind in der Mitten“, sondern ein Mann in der Mitte des Lebens, dessen Fragen die Tröstungen der alten Religionen zu leicht wiegen oder zu fern scheinen.

Aus diesem Impetus wird der alte Fundus von Religionskritik und Atheismus in diesem Gedicht bis an die Grenzen erprobt. Religionen sind für Burton in nicht ganz origineller Aufklärungstradition Priesterbetrug. Und dennoch lassen ihn die Zeugnisse der heiligen Schriften nicht los, bleibt er – im Atheismus – Gottsucher. Man muß bis zu Nietzsche gehen, um einen ähnlichen Spannungsbogen ausgehalten zu finden.

Am Ende schließt sich der Kreis. Der abziehenden Kamelkarawane wird nun freilich SCHALOM nachgerufen. Sind die Zweifel zur Ruhe gekommen? Daran wird man wiederum zweifeln können.

Aden ist Jüngers Anregung gefolgt. Als Übersetzer hat er dem Gedicht eine deutsche und gegenwärtige Stimme gegeben, unprätentiös, doch sehr gekonnt. Anklänge an die Dichtung des 19. Jahrhunderts und ihrer Faszination von Nahem und Fernem Osten sind unverkennbar: Rückert und Goethes „Divan“-Dichtung  schauen über die Schulter.

Dieses bemerkenswerte Gedicht zeigt, daß die Frage nach der Religion weiter reicht als der Schattenwurf verschiedener Orthodoxien oder die funktionale Frage nach der Religion in der modernen Gesellschaft. Vertraut man sich dem Rhythmus seiner Verse an, gleichsam der Schrittfolge der Kamelkarawane, so kommt man in eine andere Dimension des Religionsgesprächs, in der eigene Endlichkeit und Gottes-Macht aufeinandertreffen. Es ist diese Dimension, an die vor einem Jahr der Muslim und Islamwissenschaftler Navid Kermani rührte, wenn er über eine Kreuzigungsdarstellung von Guido Reni bemerkte, dies sei ein Christus, an den ein Muslim, nein er selbst glauben könnte.

Richard Burton:  Die Kasîdah des Haji Abdu El-Yezdi. Übersetzt und erläutert von Menno Aden. Attempto Verlag, Tübingen 2007, 160 Seiten, 19,90 Euro

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