© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Heim ins Ministerium
Paul Rosen

Voller Bauch studiert zwar nicht gern, sagt der Volksmund, aber ganz ohne Essen geht es selbst im Bundestag nicht. Jeden Mittag ab 12 Uhr stürmen Tausende in die Kantine des Bundestages im Keller des Jakob-Kaiser-Hauses am  Reichstag, wo ein Eintopf 2,10 Euro und ein gutes Essen mit Fleisch und Beilagen 2,80 Euro kostet. Eine weitere Kantine befindet sich im Paul-Löbe-Haus und ist gut zu sehen, wenn man die einstündige Bootsfahrt vom Berliner Dom durch das Regierungsviertel bucht. Wegen der vielen bunten Lampen wird diese Kantine  „Lampenladen“ genannt, auch wenn der Name früher für den abgerissenen „Palast der Republik“ („Erichs Lampenladen“) stand. Meistens sieht man in den Pausen entspannte Gesichter. Die Mittagszeit darf – gerade wenn der Bundestag Sitzungspause hat – auch mal eine halbe Stunde länger dauern.

Arbeitsplatzsorgen haben hier die wenigsten. Den Angehörigen der Bundestagsverwaltung sind Wahlergebnisse gleichgültig. Egal ob CDU oder SPD den Präsidenten stellen: Für die Beschäftigten ändert sich nichts. Ein anderer Eindruck wurde nach der vergangenen Bundestagswahl bei Fraktionsmitarbeitern erweckt, nachdem die SPD erdrutschartige Verluste erlitten und ihre Fraktion von 222 auf 146 Abgeordnete geschrumpft war. Die SPD müsse wegen gesunkener Staatszuschüsse Angestellte entlassen, hieß es besorgt, und das Arbeitsamt richtete vorsorglich eine Beratungsstelle für arbeitslos gewordene Politiker-Mitarbeiter ein. Die Beratungsstelle blieb weitestgehend untätig, denn es war ein Phänomen zu erleben. Zwar entließ die SPD-Fraktion tatsächlich scharenweise Mitarbeiter, aber die konnten fast alle zu ihren früheren Arbeitgebern zurückkehren. Sie kamen aus verschiedenen Bundesministerien, wo sie sich für die Fraktionstätigkeit hatten beurlauben lassen. Als die Arbeitsplätze in der Fraktion wegfielen, traten die Urlauber die Heimreise an. 

Bei den anderen Fraktionen verhält es sich mit Ausnahme der noch nicht ganz ins System integrierten Linkspartei genauso. Das führt dazu, daß die Personalkörper der Fraktionen unterhalb der Abgeordnetenebene sich bestens kennen. Im Zweifel saßen der SPD- und CDU/CSU-Referent für Haushaltspolitik früher gemeinsam mit anderen Kollegen in einem Haushaltsreferat im Finanzministerium, das sie jetzt im Auftrag ihrer Abgeordneten kontrollieren sollen. Daß Kontrolle nicht mehr funktioniert, wenn man sich gut kennt, liegt auf der Hand. Und da dies alle Ministerien betrifft, kann von einer effektiven parlamentarischen Kontrolle nicht mehr die Rede sein, da Regierung und Fraktionen personell miteinander verschmolzen sind und man weiß, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

An einem schönen Eckplatz der Kantine haben einige Mitarbeiter der FDP-Fraktion Platz genommen und genießen Eintopf und Fischfilet. Sie wirken entspannt. Arbeitsplatzsorgen kennen sie schließlich auch nicht, selbst wenn ihre Fraktion nach der nächsten Wahl wegen Reißens der Fünf-Prozent-Hürde aufgelöst werden sollte. Dann gehen sie wieder heim ins Ministerium.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen