© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Zeitschriftenkritik: Effilee
Kulinarisches Theorieorgan
Marcus Schmidt

Mit der Eßkultur in Deutschland ist es nicht weit her. So sehen es jedenfalls viele Franzosen oder Italiener und schauen beim Thema Speis und Trank in der Regel immer etwas mitleidig, wenn nicht gar verächtlich auf die Deutschen herab. Für die beiden kulinarischen Großmächte sind traditionelle Speisen ein Teil der nationalen Identität, der gleichberechtigt neben kulturellen Errungenschaften der Malerei oder Architektur steht und auch entsprechend gepflegt und gegen fremde Einflüsse verteidigt wird. Einen solchen Stellenwert hat das Kochen in Deutschland in der Tat nicht, auch wenn die inflationäre Zahl von Kochsendungen im Fernsehen seit einigen Jahren einen anderen Eindruck vermittelt.

Die vor zwei Jahren gegründete Zeitschrift Effilee ist ein Kind dieser neuen deutschen Kochbegeisterung – doch hier hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Die äußert textlastige Zeitschrift, die sich immer wieder den Luxus mehrerer aufeinanderfolgender bildloser Seiten leistet, ist eher ein Theorieorgan für ambitionierte Hobbyköche als eine weitere bunt bebilderte Rezeptsammlung.

Herausgegeben wird das kulinarische Magazin von dem indischstämmigen Internet-Millionär Vijay Sapre, der sein Geld mit dem Portal mobile.de verdient hat. Nach dem Verkauf seiner Firma suchte der nun reiche, aber arbeitslose Sapre einen neuen Zeitvertreib und machte kurzerhand das Koch-Hobby zum Beruf und gründete Effilee (französisch für gerupftes Geflügel). Der 48 Jahre alte Hamburger vergleicht seine alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift mit dem hoch gelobten Wirtschaftsmagazin Brand eins. Effilee, so sagt er, sei für ihn ein Vorwand, um spannende Geschichten zu erzählen.

Und in der Tat zeigt ein Blick in das aktuelle Heft, daß sich die ambitionierte Zeitschrift deutlich von vielen anderen Koch-Publikationen abhebt. So wird unter der Überschrift „Essen heißt, ich lebe noch“ ein Koch porträtiert, der in einem Hamburger Hospiz arbeitet. Ein anderer Beitrag protokolliert den steinigen Weg des Sternekochs Tim Raue zum eigenen Restaurant, während ein Effilee-Autor es sich einen Tag lang in einem Wiener Kaffeehaus bequem gemacht hat.

Daß die Zeitschrift noch reichlich Luft nach oben hat, zeigt die sehr unterschiedliche Qualität der Artikel, die mitunter recht langatmig und trocken daherkommen. So wägt ein wissenschaftlich gehaltener Text die Vor- und Nachteile der Vakuum-Garmethode („Sous vide“) ab, um zu dem Schluß zu kommen, daß für die notwendigen Geräte schnell ein vierstelliger Betrag zusammenkommt. Wahrlich nichts für Hobbyköche.

Die Reportage über eine Krabbenfischerfamilie, die, wie der Untertitel verrät, von Dingen erzählt, „die schon immer so sind“, zeigt indes, daß auch in Deutschland zahlreiche kulinarische Traditionen existieren, die im Gegensatz zu Frankreich allerdings kaum im kollektiven Bewußtsein der Nation verankert sind. Effilee könnte einen kleinen Beitrag dazu leisten, daß sich dies bald ändert.

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