© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Keine Rettung in Sicht
Euro: Mit Irland droht der nächste Schuldensumpf
Bernd-Thomas Ramb

Am schlimmsten ist die fadenschei-nige Vertuschungsstrategie. Die prekäre Schuldensituation zahlreicher europäischer Staaten wird verschwiegen oder kleingeredet, das Taumeln des Euros nicht zur Kenntnis genommen oder so getan, als ob die kritische Lage unter Kontrolle wäre. Es wird höchste Zeit, offen anzusprechen, mit welchen – für die europäischen Regierungschefs, insbesondere aber die deutsche Kanzlerin natürlich unangenehmen – Realitäten Europa konfrontiert ist.

Erstens: Griechenland braucht noch mehr finanzielle Unterstützung, Irland wird seine Rettungsgelder anfordern und  Portugal und Spanien können nicht auf niedrigere Zinsaufschläge hoffen; auch sie sind auf das Euro-Rettungspaket angewiesen. Wenn der irische Premier Brian Cowen wütend beteuert, sein Land werde keine Hilfsgelder anfordern, ist das pure Selbsttäuschung. Warum drängen ihm dann die potentiellen Geberländer ihre Gelder auf? Weil die Alternative ein Ausscheiden aus der Euro-Währung wäre! Den freiwilligen Austritt hat seinerseits Portugal angeboten, wenn die Iren die Hilfe ablehnen. Portugal und Spanien fürchten einen weiteren Anstieg der Zinsen, die sie für ihre Staatsschulden zahlen müs-sen. Und Griechenland? Nichts Neues, außer neuen Löchern im Staatshaushalt, neuen Schulden und der Ankündigung, die Rückzahlung alter Staatsschulden ver-schieben zu müssen – bis weitere Hilfe aus dem Euro-Topf eintrifft. Der Rettungs-schirm wird nicht nur bleiben, sondern sogar vergrößert werden müssen.

Zweitens: Die Vorstellung der deut-schen Kanzlerin, man könne die Krise meistern, indem die privaten Anleger und Banken bei einer „Umschuldung“ auf Teile ihrer Forderungen verzichten müssen, ist selbstmörderisch. Schon die Ankündigung dieser Idee habe zu einem Zinsanstieg für ihre Staatsanleihen geführt, schimpfen die Iren und Portugiesen. Die Griechen müssen wieder so hohe Risikoaufschläge ertragen wie vor der Rettungsaktion im Mai dieses Jahres. Wenn die volle Rückzahlung von Staatsanleihen nicht mehr gewährleistet ist – vor allem wenn die Euro-Staatengemeinschaft dies ohne Voranmeldung und eigenmächtig festlegen kann –, wird dieses Risiko auf dem Finanzmarkt in die Zinshöhe einkalkuliert. Die klammen Staaten leiden schon jetzt unter hohen Zinsausgaben. Ihre Abwehr neuer zinstreibender Regelungen ist verständlich – und mehrheitsfähig. Es wird also beim alten bleiben: Keine Abstriche, volle Haftung für Staatsschulden.

Drittens: Die Beschwichtigung, die Hilfszusage des Euro-Rettungsschirms bestünde in bloßen Krediten, ist sachlich zutreffend. Daraus abzuleiten, diese Kre-dite würden auch zurückgezahlt, ist dage-gen falsch. Wenn die Kreditempfänger – im Augenblick nur Griechenland, dem-nächst Irland und anschließend Portugal und Spanien – nicht mehr zahlungsfähig sind, müssen diese Kredite abgeschrieben werden. Deutschland ist als Hauptfinan-zier der EU am bisherigen Rettungsvolu-men mit 148 Milliarden beteiligt – die deutschen Zahlungen an den ebenfalls an der Rettungsmaßnahme beteiligten Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht mit eingerechnet. Im immer wahrscheinlicheren Ernstfall wird der deutsche Staatshaushalt mit dieser Summe belastet – entweder der heutige Steuerzahler oder über zusätzliche Schulden die kommen-den Generationen. Wie sind da noch mi-nimale Sparmaßnahmen im Bundeshaus-halt überzeugend vertretbar?

Viertens: Ein Aspekt, der bisher so gut wie nicht in der Öffentlichkeit vorgetra-gen wurde, betrifft die Wohlstandsumverteilung unter den Euro-Ländern. Laut letzter Auflistung der Unesco liegt Irland mit seinem Pro-Kopf-Einkommen an neunter Stelle der Weltrangliste, das höchste Einkommen aller Euro-Länder. Die Iren sind nach diesem Maßstab reicher als die Niederländer (Platz 10), die Finnen (16), die Deutschen (19) und die Franzosen (21). Wo bleibt der Schrei nach sozialer Gerechtigkeit, wenn mit dem Euro-Rettungspaket tatsächlich eine „Umverteilung von unten nach oben“ eintritt? Auch Griechenland ist keinesfalls das ärmste der Euro-Länder. Zypern, Slowenien, Portugal und die Slowakei weisen ein geringeres Pro-Kopf-Einkommen auf. Auch wenn sie nur mit wenigen Milliarden am Euro-Rettungspaket beteiligt sind: der Ärmere überweist an den Reicheren. Wenn das publik wird, ist ein wachsender Widerstand der betroffenen Bevölkerungen unausweichlich.

Fünftens: All dies beeinträchtigt die Überlebenschancen der Euro-Währung. Schon die panikartig durchgepeitschten Hilfsmaßnahmen im Falle Griechenlands beweisen die Kippstellung des Euro. Auf Dauer ist die vielfach gegen den Willen der Betroffenen erzwungene Kunstwährung nicht zu halten. Die öko-nomischen Kräfte sprechen nun einmal gegen den Euro. Politische Willkür kann dagegen keinen Erfolg erzwingen, auch nicht mit noch so vielen milliardenschwe-ren Hilfsaktionen, auch nicht mit Verfassungstricksereien, auch nicht mit der Drohung, sonst breche der Krieg in Europa aus. Der Widerstand gegen den Euro ist auch kein Werk bösartiger Spekulanten. Die sind am Gewinn orientiert, nicht an kostspieliger Meinungsmache. Die Regie-rung täte besser daran, das Scheitern des Euro offen in Betracht zu ziehen und die notwendigen Maßnahmen zur Vorberei-tung einer Ersatzwährung zu ergreifen.

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