© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Keine Fesseln für deutsche Exporte
G20-Gipfel in Seoul: Einigung auf höhere Eigenkapitalquoten für Banken und IWF-Reform / Währungs- und Handelsstreit bleibt ungelöst
Albrecht Rothacher

Der G20-Gipfel in Toronto vom Juni hatte 860 Millionen Dollar gekostet und nichts gebracht. Die stolzen Koreaner bewahrten über ihre Kosten Stillschweigen, obwohl sie ihren Polizeischutz auf 50.000 Mann verdoppelten, Elitetruppen auf den Berggipfel um die Hauptstadt Seoul in Stellung brachten, die Luftabwehr in Alarmbereitschaft versetzten und die Marine gegen U-Boote patrouillieren ließen.

Die 19 Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Vertreter einigten sich wie vorhergesehen auf zwei Themen, über die schon vor der Konferenz nach zwei Jahren Verhandlungen Konsens erzielt worden war: Banken sollen ab 2019 ihr risikofreies Eigenkapital auf sieben Prozent ihrer risikobehafteten Außenstände erhöhen. Bisher waren es zwei Prozent. In jenen „Basel III“-Regeln sollen die Kosten der Kreditrisiken – statt von den Steuerzahlern – wieder von den Schuldnern in Gestalt höherer Zinskosten getragen werden. Einzelheiten müssen allerdings noch von den Finanzministern gegen den Widerstand der Banken-Lobby ausgearbeitet werden.

Dann einigte man sich auf die längst beschlossene Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Europäer hatten nach dem Motto „Hurra, wir kapitulieren!“ auf US-Druck zwei Sitze im 21köpfigen IWF-Exekutivrat preisgegeben sowie auf Stimmengewichte, Quoten und Kreditanteile zugunsten der Schwellenländer China, Indien, Brasilien und Venezuela verzichtet.

Dazu verständigte sich der G20-Gipfel auf fromme Wünsche zum Abschluß der hinsiechenden Doha-Freihandelsrunde (JF 45/08) im nächsten Jahr, rechtzeitig vor den US-Präsidentschaftswahlen von 2012. Da es Obama jedoch nicht einmal gelang, das Freihandelabkommen mit Südkorea durch den Kongreß zu bekommen oder Nachbesserungen mit dem Gastgeber Lee Myung-bak erfolgreich zu verhandeln, sind die Aussichten für ein neues Welthandelsabkommen trübe. Dies auch wegen des Unwillens der Schwellenmächte China und Indien, ihre Märkte weiter zuöffnen.

Die Forderung von US-Finanzminister Timothy Geithner, Defizite und Überschüsse der Leistungsbilanzen sollten auf vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt werden, ist vom Tisch. Deutschland (5,8 Prozent Überschüsse), China (5,1 Prozent) und Japan (2,3 Prozent ) wehrten sich erfolgreich gegen jene Quantifizierung. FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hatte dies schon anläßlich G20-Finanzministertreffens als „Rückfall in planwirtschaftliches Denken“ gegeißelt. Kanzlerin Angela Merkel wies gegenüber Präsident Obama darauf hin, daß Deutschlands Bilanz im Rahmen des EU-Binnenmarkts als nationaler Indikator für die Weltwirtschaft irrelevant sei und Deutschland seine Währung – im Gegensatz zu China und den USA – nicht unterbewerten könne. Das Kommuniqué vom Freitag überkleisterte erwartungsgemäß diese Gegensätze. Der aggressive US-Vorstoß vom Oktober hatte die Europäer teilen und von der weltweiten Kritik an der US-Notenbankpolitik ablenken sollen.

Für 600 Milliarden Dollar will die US-Notenbank Fed erneut US-Schatzbriefe mit frisch gedrucktem Geld aufkaufen (JF 46/10). Wolfgang Schäuble, gelegentlich ein Mann klarer Worte, warnte zurecht, nicht der Mangel an Liquidität sei das Problem der US-Wirtschaft, sondern die fehlende Investitionsneigung. Eine „ratlose“ US-Führung wolle nur den Dollar entwerten. Chinas Präsident äußerte als weltgrößter Gläubiger der USA seine Vorbehalte bezüglich der US-Inflationspolitik, dem möglichen Zerfall des Dollar und höherer Rohstoffpreise.

Obama verteidigte die Fed-Politik als wichtigsten Beitrag zur Stärkung der US-Wirtschaft und damit der Weltwirtschaft. Die Niedrigzinspolitik der USA, Japans und der Euro-Zone, die manipulierten Schwächen des Dollar und des Renminbi sowie die Fiskalkrisen der Euro-Peripherie zwingen das nach rentierlicheren Anlagen suchende internationale Finanzkapital massiv in die neuen Schwellenländer. Durch den damit verbundenen Aufwertungsdruck ihrer Währungen werden die Exportchancen dieser Länder – von Brasilien bis Thailand – stark geschädigt. Kein Wunder, daß sie beginnen, Kapitalimportkontrollen und Interventionen an den Devisenmärkten in Eigenhilfe zu unternehmen. Dazu riskiert der weltweite Liquiditätsüberschuß die Flucht in vermeintlich sichere Sachwerte, die dann – wie in der japanischen Börsen- und Immobilienblase von 1985 bis 1989 – massiv überbewertet werden, bis das ganze unweigerlich platzt.

So schaffen der Unilateralismus der Obama-Administration und das fortgesetzte Währungsdumping der Chinesen genau das Gegenteil der vom G20-Gipfel feierlich beschworenen koordinierten Weltwirtschaftspolitik. Obama mag angesichts der weltweiten Ablehnung seiner Dollarpolitik und von Geithners Ablenkungsmanövern als Gipfelverlierer erscheinen, doch ist auch die vor zwei Jahren nach der Lehman-Pleite ins Leben gerufene G20-Institution in Frage gestellt. Die Einbeziehung von Australien, Saudi-Arabien und Südkorea sowie von Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien, Mexiko, Südafrika, Argentinien, Türkei und Indonesien sollte die eurozentrische G7- bzw. G8-Runde (mit Rußland) ablösen. 85 Prozent der Weltwirtschaft kontrollierend, sollte die G20 als neue Weltwirtschaftsregierung auftreten. Mit diesem Anspruch ist sie erneut kläglich gescheitert. Keines der neuen Mitgliedsländer zeigte auch nur die geringste Neigung, weltweite Verantwortung übernehmen zu wollen.

Schon beim Juni-Gipfel von Toronto (JF 27/10) waren die Differenzen zwischen den USA, die mehr Ausgabenprogramme wollten, und den Europäern, die zu recht Angst vor Staatskonkursen bekamen, unüberbrückbar geworden. Jetzt übernimmt Nikolas Sarkozy – kein Anhänger von Bescheidenheit und leisen Worten – von den Koreanern den G20-Vorsitz. Er dürfte spannend werden, wie er den Vorsitz der selbsternannten Weltregierung meistern wird.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Japanologe und Asien-Experte. Er ist Autor des Buches „Mythos Asien – Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch“ (Olzog Verlag 2007).

Foto: Staats- und Regierungschefs der G20-Länder in Seoul: Der Unilateralismus der USA und das Währungsdumping Chinas belasten die Weltwirtschaftspolitik

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