© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Halbwissen und Marktgeschrei
Ein klinischer Fall: Das FAZ-Feuilleton gibt als „Sensation“ aus, was seit sechzig Jahren bekannt ist
Thorsten Hinz

Die Pressejungs riefen anläßlich des Buches „Das Amt“ wieder einmal eine kopernikanische Wende aus. Vorneweg das Feuilleton der FAZ. Die Buchautoren, tönten sie, hätten im Archiv des Auswärtigen Amtes eine Spesenrechnung „gefunden“, die die „Liquidation von Juden in Belgrad“ als Reisegrund anführt. Der Holocaust, folgerte Frank Schirrmacher, sei mithin „kollektives Behördenwissen“, „ein absolut positives Wissen des nationalsozialistischen Beamtenapparats“ gewesen. Co-Autor Eckart Conze ergänzte stolz, beim Auswärtigen Amt handele es sich um eine „verbrecherische Organisation“.

Weil aber die FAZ einen Ruf zu verlieren hat, stößt dort solche Mischung aus Halbwissen und Marktgeschrei auch sauer auf. Der verantwortliche Redakteur der Rubrik „Politische Bücher“, Rainer A. Blasius, der 1980 bei Andreas Hillgruber eine Doktorarbeit zum Thema: „Für Großdeutschland – gegen den großen Krieg“ verfaßt hat (eine konventionelle, aber lesenwerte Studie über den Staatssekretär Ernst von Weizsäcker), hat klargestellt, daß dieses vermeintlich neuentdeckte Papier schon vor knapp 60 Jahren publik gemacht und 1952 im Prozeß gegen den „Judenreferenten“ Franz Rademacher zitiert wurde. Die FAZ berichtete am 18. März 1952 darüber. „Das Amt“ nennt als Quelle ein Buch aus dem Jahr 1978. Soviel zum Sensationsfund von Conze, Schirrmacher & Co.

Daneben ist es fraglich, ob der Begriff „Liquidation“ nach dem damaligen Kenntnisstand im Ministerium zwingend die Vorstellung einer Massentötung nahelegte, ob er nicht vielmehr zu der Tarnsprache gehört, mit der das Regime seine Untaten bemäntelte. Es ist ein betriebswirtschaftlicher Begriff, der die Veräußerung von Vermögensgegenständen bezeichnet, um gebundenes Kapital in flüssige („liquide“) Mittel zu verwandeln. Das ist etwas anderes als „Liquidierung“ oder gar Vernichtung.

Blasius zitiert den Zeitgeschichtler Norbert Frei, der die Abqualifizierung des Amtes als „verbrecherische Organisation“ zurückweist. Nicht einmal beim Nürnberger Prozeß sei die Reichsregierung als „verbrecherisch“ eingestuft worden.  Die Feuilletonisten der „Zeitung für Deutschland“ aber haben den Ehrgeiz, das Plansoll der Nürnberger Richter zu überbieten. Wie kann man ihren tiefen Fall noch nennen? Ganz klar: Er ist klinisch!

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