© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

CD: Pop
Aufbruch auf den Olymp
Georg Ginster

Seit acht Jahren arbeitet Arcade Fire, eine um den Texaner Win Butler und seine aus Haiti stammende Frau Régine Chassagne formierte Band mit Geschäftssitz in Montreal, unterhalb der Schwelle breiter öffentlicher Wahrnehmung an ihrem Nimbus. Nun, mit der dritten, „The Suburbs“ (City Slang/ Universum) betitelten CD soll der akribisch vorbereitete Aufbruch auf den Olymp des „Indie-Rock“, dessen Bewohner Verkaufserfolge mit elitärem Anspruch in Einklang zu bringen verstehen, in Angriff genommen werden.

Das Selbstbewußtsein der Band äußert sich nicht zuletzt darin, ein Konzeptalbum zu präsentieren – derartigen Snobismus gönnt sich ansonsten nur, wer alle Hoffnungen auf eine große Fangemeinde hat fahren lassen oder aber, wer eine solche bereits aufgebaut hat und dieser nun auch noch das erhebende Gefühl vermitteln möchte, echter Kunst und nicht bloß schnöder Unterhaltung zuzuneigen. Das Problem von Konzept-alben ist jedoch in der Regel, daß sich besagtes Konzept nur bedingt aus der Musik selbst erschließt, sondern zusätzlicher Erläuterungen bedarf. So verhält es sich auch bei „The Suburbs“.

Der durch die PR gestreute Begleitkommentar besagt, daß der Bush-Flüchtling Butler irgendwann seine durch Obama befreite Heimat wieder aufsuchte und eine ganze Reihe einschneidender Veränderungen zur Kenntnis nehmen mußte. So etwas widerfährt vielen, die an die Stätten ihrer Jugend zurückkehren, ohne daß sie sich gleich zu einer CD oder lyrischen Produktionen hinreißen lassen würden. Wird die äußere Klammer nicht hinzugedacht, zerfällt „The Suburbs“ in Songs sehr unterschiedlichen Zuschnitts auf der großen Bandbreite zwischen Folk und Rock.

Zu einem typischen Stil hat sich die Band jedoch weiterhin nicht durchgerungen. Dieser könnte, nach der Machart von dem älteren Stück „No Cars Go“, so etwas wie ein euphorisch aufgeladener und zu orchestraler Fülle neigender, im Kern aber melancholischer Sound sein, Anklänge dazu sind auch auf der aktuellen CD zu vernehmen. Vielleicht wird dies aber, nicht ganz zu Unrecht, als zu strapazierend empfunden, um ein ganzes Album tragen zu können.

Ihren typischen Sound hatten hingegen The Charlatans bereits zu Beginn ihres Wirkens vor knapp 20 Jahren auf Anhieb gefunden. Ihr Debütalbum „Some Friendly“ brachte ein aus unerfindlichen Gründen plötzlich massenhaft aufkeimendes Bedürfnis nach narkotisierter Coolness auf den Punkt. Lieder wie „The Only One I Know“ wurden zu Hymnen einer tanzfreudigen Momentkultur, die nicht dem Marschrhythmus verfiel, sondern sich lieber von psychedelischen Orgelklängen treiben ließ. Spannend und hörenswert war dies nur für kurze Zeit.

Schon ein paar Jahre später konnten die Charlatans damit zufrieden sein, wenn sie im Vorprogramm der prominenten Brit-Pop-Bands den wartenden Konzertbesuchern ein wenig die Zeit vertreiben durften. Sollten sie seither jemals einen ernsthaften Versuch unternommen haben, sich neu zu erfinden, so war dieser bis heute nicht von Erfolg gekrönt. „Who We Touch“ (Cooking Vinyl), die aktuelle und immerhin elfte CD, ist nicht mehr als ein Zeugnis lustloser Altersmüdigkeit. Mitleid haben aber nicht die Musiker, sondern die Hörer verdient.

Arcade Fire, The Suburbs City Slang 2010   www.cityslang.com

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