© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Propheten des Weltuntergangs
Die ökologischen Reiter
von Michael Manns

An den Lagerfeuern der grünen Weltuntergangspropheten werden wieder die apokalyptischen Messen gelesen: Die Atommeiler sind unser Unglück, erst recht die Verlängerung ihrer Laufzeiten, so die düstere Botschaft. Die Hohepriester der ökologischen Endzeit lassen ihre Mahnungen, Warnungen und Verteufelungen in tiefstem Moll erklingen. Seit 40 Jahren betreiben die selbsternannten Menschheitsretter dieses Geschäft mit der Angst.

Die Litanei der Öko-Todsünden klingt dramatisch: Jeden Tag, jede Stunde oder Sekunde stirbt eine Art aus. Die Atomkraft ist das Böse schlechthin. Die Klimakatastrophe steht uns bevor; der Mensch hat sie zu verantworten. Kohlenstoffdioxid, das Ozonloch, das Waldsterben, der saure Regen, die Bevölkerungsexplosion, der Wärmetod, der vergiftete Boden, die vergiftete Luft, die vergiftete Nahrung, die schädlichen Medikamente – alles geht auf die Kappe des Homo sapiens. Hinzu kommen die Verschleuderung von Ressourcen, das Robben- und das Elefantensterben, schmelzende Polkappen, der Anstieg der Meere, die sich ausbreitenden Dürregebiete, drohende Hungerkatastrophen, Taifune, Pseudokrupp sowie versiegende Ölquellen. Die Marktschreier des Niedergangs sind erfindungsreich.

Doch was ist, wenn der Öko-Kaiser mit dem Weltuntergangsblick splitternackt ist? Wenn die Geschichte der grünen Orakel eine Geschichte von schlampigen und miserablen Prognosen ist? Eine Geschichte der Irreführungen und hohlen Phrasen, hinter denen handfeste Interessenpolitik steckt? Ein Resümee wirft sehr viele Fragen auf.

Die Geschichte beginnt mit der „Bevölkerungsbombe“ (1968) von Paul Ehrlich. Hier wird der radikal-düstere und apokalyptische Ton zum ersten Mal massiv angeschlagen. Wenn das Bevölkerungswachstum nicht gebremst werde, komme es in den siebziger Jahren schon zu Massenhungersnöten. O-Ton Ehrlich: „Der Kampf um die Welternährung ist entschieden (…). Hunderte von Millionen Menschen werden trotz aller sofort eingeleiteter Hilfsprogramme verhungern!“ Und Ehrlich legte noch eine Schippe drauf: Die hungernde Dritte Welt würde eine Reihe von internationalen Krisen auslösen, an deren Ende der Atomkrieg stehe.

Natürlich lag Ehrlich schief. Die Nahrungsmittelproduktion wurde enorm gesteigert. Schlimme Nöte entstanden eher durch Mißwirtschaft. Wirklich große Hungerkatastrophen entstammen vor allem kranken Politikergehirnen wie dem Stalins, der ganze Volksgruppen aushungerte.  

Vier Jahre nach Ehrlich publizierte dann der Club of Rome seinen Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ – ein Renner in den links-alternativen Kreisen, zeitweise ein Weckruf für die Propheten des Weltuntergangs. Gierig sogen die Endzeit-Theoretiker die Thesen ein und warteten darauf, daß die Lichter ausgehen würden.

   Nach dem Versickern der Studentenrebellion war die radikale Linke auf der Suche nach einem neuen Kristallisationspunkt. Dies brachte einen Paradigmenwechsel in der Ideologie mit sich. Argumentierte die APO in marxistischer Tradition mit der Ausbeutung im Rahmen der Klassengesellschaft, den zyklischen Krisen und schließlich dem Kollaps des Kapitalismus, so hieß es jetzt, die Natur würde ausgebeutet und die Zivilisation sei vom Untergang bedroht.

Dann kam der 26. April 1986 – die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Ursache waren Schlamperei und technische Mängel, die empörend genug waren. Genauso empörend war aber auch, daß die Opfer-Diskussion wie eine Auktion verlief: 100.000 hieß es in Kreisen der SPD und der Grünen. 93.000 lautete die Schätzung von Greenpeace. Die Aktivisten der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges steigerten die Zahl auf 264.000 Tote. Es war eine makabre Rallye nach immer höheren Zahlen, als könnte es gar nicht genug Opfer geben.

Die Realität? Genau 56 Tote zählte das Tschernobyl-Forum der Uno 20 Jahre nach dem Unglück. Es schätzt zudem 4.000 zusätzliche Krebserkrankungen unter der betroffenen Bevölkerung. Die Spätfolgen für die Natur? Findet man überall Vögel mit Tumoren an Krallen und Augen? Sind Säugetiere und Reptilien verendet? Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben sich in dem Gebiet stark vermehrt, Luchs und Uhu sind zugewandert, und Vögel nisten sogar in dem Stahlsarkophag, der um den zerstörten Reaktor errichtet wurde.

1978 verbrannten nach einer Tankfahrzeugexplosion 216 Menschen auf einem spanischen Campingplatz, 1989 kostete die Explosion einer sibirischen Flüssiggasleitung 600 Menschen das Leben. Beides ist längst vergessen. Kaum einer spricht von den über 6.000 Kohlekumpel, die jährlich alleine in chinesischen Gruben sterben. Oder denkt an jene 26.000 Opfer, die 1975 in der Provinz Henan bei zwei Staudammbrüchen umkamen. Es war ein Pompeji der Wasserkraft. Aber kein Grüner käme jemals auf die Idee, ein Laufzeitende für  Bergwerke, Erdgasanlagen oder Wasserkraftwerke zu fordern. Das Mißtrauen gegen Großtechnologien bündelt sich stattdessen in einem Wort: Tschernobyl.

In den achtziger Jahren trieben die Panik-Priester dann die nächste Sau durchs Dorf. Es ging um Gesundheit. „Bittere Pillen“ (Erstausgabe 1983) wurde zur Bibel der Kassandra-Jünger. Ins Visier kamen Pharmabranche und Lebensmittelindustrie. Das Insektizid DDT wurde geächtet und verbannt. Die Folgen: Die Malaria breitet sich stärker aus. Jährlich sterben mehr als eine Million Menschen daran, vier Fünftel davon sind Kinder. Komplette Volkswirtschaften afrikanischer Staaten liegen wegen Malaria am Boden. Provokativ zugespitzt: Nicht DDT, sondern das DDT-Verbot tötet Menschen.

Am 7. Dezember 2009 hyperventilierte die Ökozunft förmlich. Rund 16.500 Experten trafen sich in Kopenhagen zum Weltklimagipfel. Es sollte das Hochamt für die Phobie-Propheten werden. Der blaue Planet stirbt, darunter war es schon gar nicht mehr zu machen. 150 Millionen Euro wurden für die elftägige Plauderrunde verbraten. Das Ergebnis: heiße Luft.

Kopenhagen war aber nicht nur ein politischer Mißerfolg, er wurde vermutlich auch zu einer Trendwende, was die Deutungshoheit im ökologistischen Mainstream betrifft. Denn es sickerte durch, mit welch getürkten Zahlen der Weltklimarat arbeitete. Zur Erinnerung: 2035 sollten, so der offizielle Bericht, die Himalaya-Gletscher abgeschmolzen sein. Eine Zahl, die kein Forscher je genannt hatte – es war wilde Phantasie. Sie wurde einfach in den amtlichen Text hineingeschrieben, um entsprechende Politik zu machen.

Zu den Glaubensartikeln der Ökoszene gehört die These, daß der Mensch ständig die Rechte der Erde verletze. Der US-Radikalökologe Bill Devall hat das Fällen von Bäumen sogar mit der Verschleppung von Juden nach Auschwitz verglichen. Hier gleitet die Ökoszene dann auch langsam in den Ökoterror ab: Gewalt gegen Sachen – zum Beispiel Farbbeutelanschläge auf Pelzmäntel –, Einbrüche in Pharmaunternehmen bis hin zu Vorschlägen, einen Guerillakrieg  gegen Holzfäller zu organisieren. Der Mensch sei ein Parasit, seine Existenz bedeute die Verwüstung des Planeten. Christopher Manes, ein ähnlich radikaler Mitstreiter in den USA, hat 1987 gefordert, die Menschheit mit dem Aidsvirus auszulöschen, da der Mensch für die Erde ein Biosphärenvirus darstelle und daher ein Gegenvirus erforderlich sei.

Als vor rund 10.000 Jahren die Nomaden seßhaft wurden und die ersten Bauernkulturen entstanden, wurde der Boden systematisch bearbeitet. Mit dem Pflug zog man die Furchen und „verletzte“ die Erde – „den Schoß der Erdmutter“, wie es Mircea Eliade nennt. Diese Verletzung mußte geheilt, die wütenden Götter durch Opfer besänftigt werden. Denn der Mensch war „in einer Art von Grenzüberschreitung und somit hybrider und frevlerischer Tabuverletzung der sakralen Natur“ (Karl-Heinz Ohlig) gegenübergetreten. Vielleicht ist hier die Ursünde des Menschen zu verorten – aus Ökosicht. Vielleicht steht hier der ideologische Fleischtopf, der das radikale grüne Denken immer wieder nährt.

In Wellen tauchte die romantische Verklärung der Natur in Deutschland auf. Es gab den Natur-, Tier- und Heimatschutz im späten 19. Jahrhundert, die Wandervogelbewegung um die Jahrhundertwende, später die Lebensreformer mit ihrer Kritik an Verstädterung und Industrialisierung. Es war die Zeit von Naturheilkunde und Freikörperkultur.

Geht man noch weiter zurück, trifft man die Romantik und die große Enttäuschung bei den jungen Intellektuellen über den Verlauf der Französischen Revolution. Der Terror der Jakobiner und die imperialistische Politik Napoleons riefen eine Gegenbewegung hervor, die auch mit dem mechanistischen, gefühllosen, zweckrationalen Denken, das Bestandteil der Aufklärung war, abrechnete. Romantiker wie Novalis spürten, daß die Welt durch die zunehmende Rationalisierung „entzaubert“ wird. Max Weber sprach später vom „stahlharten Gehäuse“ der Moderne.

Bereits Karl Marx hatte die Natur als Ausgangsmaterial für eine von und für die Gesellschaft geformte Wirklichkeit interpretiert. Sein instrumentelles Verhältnis zur Natur beschrieb er in starken Bildern als „Laboratorium“, „Urinstrument“, „Urbedingung der Produktion“, „ursprüngliche Proviantkammer“. Diese philosophische Neuorientierung war natürlich kein Zufall. Sie reflektierte die gewaltigen, explosionsartigen Veränderungen in der Wirtschaft durch die Industrialisierung und durch den eindrucksvollen Aufstieg der Naturwissenschaften sowie der Technik. Diese Entwicklung ist unumkehrbar. Es gibt keine rationale Alternative zu quantitativ-mathematischen Verfahren, die durch Experimente gesichert sind. Schon die Versuche der Romantiker, eine neue Medizin zu entwickeln, endeten in einer Sackgasse. Gleiches galt später für die arische Physik und die kommunistische Biologie. Es wird auch keine sanfte Mathematik und keine empathische Chemie geben.

Das tangiert die Öko-Fundamentalisten wenig. Denn sie sind doppelt immunisiert. Innere Selbstzweifel werden unterdrückt, Argumente von außen ausgeblendet. So organisieren die Endzeit-Gurus ihre Totenwachen. Doch das Ende aller Zeiten will nicht eintreten. Trotz Dioxin im Babybrei und Pestiziden im Brot. Trotz krebserregender Substanzen im Gemüse und Strahlen in der Luft – wir leben immer noch, und es geht uns im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich besser. Ein paar Zahlen: In Deutschland hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren verdoppelt; in Asien stieg sie zwischen den fünfziger und neunziger Jahren um 23, in Afrika immerhin um 15 Jahre.

Die ökologischen Kaffeesatzleser und linksgrünen Alarmisten sind daher eher mit den Anhängern der Astrologie verwandt: glaubensstark und unbelehrbar. Die Zutat des Wahnhaften in der bürgerlichen Gesellschaft hat Theodor W. Adorno schon vor rund 60 Jahren ausgemacht. Der Ökologismus ist davon befallen. Mit einer Kraft, die aus dem Irrationalen kommt, erzeugt er stets neue apokalyptische Reiter. Ganz sicher kommt nach der Gentechnik eine neue universale Gefahr, wird wieder eine Saat der Angst  ausgestreut und wieder ist es fünf vor zwölf – oder nach zwölf.  

 

Michael Manns, Jahrgang 1948, war zunächst als Pressereferent eines Chemiekonzerns tätig. Bis 2007 arbeitete er als leitender Redakteur der Bild-Zeitung. Seit drei Jahren schreibt er für die JUNGE FREIHEIT über naturwissenschaftliche Themen. 

Foto: Die apokalyptischen Reiter: Der Russe Wiktor Wasnezow vollendete 1887 seine Vision der vier Boten des nahenden Weltuntergangs nach der biblischen Offenbarung

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