© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Ganz im Dienste des Absoluten
Lorenz Jäger wappnet mit seinen Analysen über Glaube und Kirche die wachsende Kämpferschar gegen die „Diktatur des Relativismus“
Werner Olles

Beginnen wir mit einem Bekenntnis. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kaufen wir schon lange nur noch aus einem einzigen Grund: wegen Lorenz Jägers „Exerzitien“ – eine unverzichtbare Glosse, die an drei Sonntagen im Monat dieses Blatt erträglich macht. Jäger, Redakteur im Feuilleton der FAZ und von Haus aus Soziologe und Germanist, trat zuletzt mit seinem Buch „Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen“ (JF 43/09) in Erscheinung, einer ebenso luziden wie hochspannenden Gegenaufklärungsschrift. Nun legt er in der „Edition Vatican Magazin“ im katholischen FE-Medienverlag mit „Hauptsachen. Gedanken und Einsichten über den Glauben und die Kirche“ in neun Kapiteln jene Lesestücke vor, die in den vergangenen Jahren vor allem in der FAS erschienen sind.

In seinem Vorwort weist Martin Mosebach auf den Werdegang des aus einem protestantischen Elternhaus stammenden Autors hin, der so erstaunlich wie konsequent ist, und den man als ehemaliger Linksradikaler nur zu gut nachvollziehen kann. In Jägers Schüler- und Studentenzeit gehörte er zu den 68ern, doch wie so manche Wanderer zwischen den Welten öffnete er sich irgendwann eher konservativen Gedankengängen, um schließlich im Katholizismus das zu entdecken, was ihn hier wohl am meisten fasziniert haben dürfte: das mysterium fidei, den Widerstandsgeist gegen die „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.) und jene scharfsinnige Gläubigkeit, die als einzige in der Lage ist, der säkularen Indifferenz der grenzenlosen menschlichen Einsamkeit eine glaubwürdige Alternative gegenüberzustellen.

Es versteht sich dabei fast von selbst, daß Jäger sich nicht auf eine der modernistischen und zeitgeistfrommen Spielarten des Katholizismus eingelassen hat, dort wo trivialer Kitsch und religiöser Schund einer „moralisierenden Zivilreligion“ (Jäger) ihr unseliges Haupt erheben und nur die Segnungen der Toleranz und der Aufklärung bejubelt werden, während die Schönheit des Glaubens in den Schmutz gezogen wird. Vielmehr zieht er Traditions- und Glaubenstreue vor, und liest man im ersten Kapitel „Schwelle“ die Glosse „Glaube und Bekenntnis“, zweifelt man keinen Moment an seiner Freude, sobald er sich dem Allerhöchsten nähert.

Noch deutlicher wird dies in dem Stück „Jesus und die Hetzmasse“ im zweiten Kapitel „Heilige Schrift: Was wir glauben“. Es geht um die Ehebrecherin, die die Schriftgelehrten und Pharisäer nach dem Gesetz Mose steinigen wollen und dafür Jesu Zustimmung erheischen. Eine Szene apokalyptischen Charakters. Die Meute ist aufs Töten aus, doch Jesus spricht, nachdem er mit dem Finger eine Linie in den Wüstenstaub gezogen hat, jene Worte, die für die christliche Religion konstitutiv sind: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Und als die Meute sich beschämt davonstiehlt, heißt es in der Heiligen Schrift: „Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.“

Bei Jäger wird diese Erklärung zur Verklärung, zu einer Poesie, die ganz im Dienste des Absoluten steht. Hier wird eine christliche Substanz und religiöse Passion sicht- und fühlbar, die selbst so manchem unter spiritueller Sturheit und Stumpfheit leidenden Zeitgenossen unter die Haut geht. Es sind die Urgründe des Lichts, metaphysische Abenteuer der menschlichen Existenz, die sich dem Leser in dieser Hochspannung zwischen Gott und Mensch eröffnen.

Lorenz Jäger:Hauptsachen. Gedanken und Einsichten über den Glauben und die Kirche. FE-Medienverlag, Kißlegg 2010, gebunden, 271 Seiten, 9,95 Euro

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